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KRITIK
REPORTAGE
INTERVIEW
AUSGESTELLT
DOSSIERS
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DOSSIER:
Guten Morgen
GUTEN
MORGEN
TIPPFEHLER
IM KELLER
BEIFAHRER
SCHWANGER
Guten
Morgen
Einen wird es heute Mittag
wieder treffen.
Natürlich wieder
mich: „Tankred, du schreibst heute die Glosse!“,
nickt der für die Produktionsplanung verantwortliche Redakteur
zu mir herüber. Ich antworte „Hmmm“.
„Guten Morgen“ heißt die
tägliche Glosse in der Neuen Ruhr Zeitung (NRZ), die den Leser
heiter in den Tag einstimmen soll. Prominent steht sie links oben auf
der Titelseite des Essener Lokalteils. Doch noch ist der Bildschirm
leer. Soll ich hier jetzt „Raum für
Notizen“ tippen?
Habe ich die Tage etwas lustiges erlebt? Hat mir
irgendwer etwas
amüsantes erzählt? Fiel mir irgend etwas auf,
worüber ich lachen musste? Vielleicht über mich
selber? — Nichts dergleichen, und so schreibe ich
über das, was mir gerade so durch den Kopf geht:
weltgeschichtliche Betrachtungen, Bauernweisheiten, Gründe, um
sich zu freuen, Anlässe, um sich zu ärgern, ein Wort
kommt zum anderen — und am Ende denke ich wieder: Hoffentlich
liest den Quatsch keiner.
(T.S. / Vorwort zu der Glossensammlung "Raum für Notizen)
Tippfehler
Rechtschreibfehler
werden von mir gerne als „Tippfehler“ kaschiert.
Das
hört sich nach rasender Reporter, nach
kurz vor Redaktionsschluss noch in die Zeitung gebrachte Eilmeldungen
an. Doch Autosuggestion bringt natürlich
nicht viel, wenn man mir unter die Nase hält, dass dieses oder
jene Wort anders geschrieben wird. Häufig wird
als Zeuge der unbestechliche Konrad Duden aus dem Grab geschaufelt: Da!
Da! So muss es sein! Und diese
Gramatik und Wortwahl! Wie sollen den unsere Kinder lesen und schreiben
lernen, wenn man ihnen noch nicht einmal
die Zeitung als Lektüre empfählen kann? Recht haben
Sie, sage
ich dann kleinlaut. Jeder Fehler ist einer zuviel und wenn
Sie mehr oder weniger als fier Stück in diesem Text finden, ja
dann, dann war‘s für mich wieder ein
Tipfehler.
(TSta./Werdener Nachrichten)
Im Keller
Schaukelpferde, Kinderschuhe,
Rodelschlitten und Fotoalben: Der elterliche Keller ist ein Reise durch
die eigene Biografie. Hier türmen sich Kisten mit Spielzeug
übereinander. Erinnerungen an Playmobilschlachten, entgleiste
Holzeisenbahnen und verpuffte Chemiekasten-Experimente werden wach.
Jede Kiste zog ich vorsichtig hervor und wühlte mich
kindheitstrunken durch die Vergangenheit. Was waren das für
unbeschwerte Zeiten!
Bestätigung erfuhr ich aus dem Inhalt einer
unbeschrifteten Mappe - die alten Schulzeugnisse. Dort stand schwarz
auf weiß: T. fügt sich in den Schulalltag wie ein
Fohlen in die Deichsel. Das soll wohl heißen: Aus dem Jungen
wird 'eh nix. Mit dieser sicheren Perspektive vor Augen konnte ich
rückblickend meine Kindheit erst richtig auskosten, das Lernen
den Erfolgreichen überlassen und auf dem zum Schaukelpferd
erwachsenen Fohlen frohen Mutes ohne Deichsel gen Zukunft reiten.
(tls/Neue Ruhr Zeitung)
Beifahrer
Es gibt Menschen, die
verwandeln
sich hinter der
Windschutzscheibe zum Tier. Andere Fahrer sind für sie
schlicht
Sonntagsfahrer. Nie geht es schnell genug voran. Jede
Verzögerung
lässt den Puls auf 180 schnellen und das Blut
in den Kopf schießen. Zum Denken bleibt da wenig Spielraum.
Dafür erhöht sich animalisch die
Reaktionsfähigkeit – was ja durchaus seinen Sinn im
Straßenverkehr ergibt.
Simone ist zum Beispiel solch ein Fall. „Huch“,
„Blödmann‘ oder „Pass doch
auf“,
entfährt es der adrenalindurchtränkten
jungen Frau in regelmäßigen Abständen. Wie
gut, dass
das keiner der angesprochenen Fahrer hört —
möchte man
meinen. Doch die Dinge liegen anders. Der angemotzte Fahrer sitzt meist
zu ihrer Linken und versucht, trotz Simone
als Beifahrerin, die Karre nicht vor die Wand zu setzen.
(tls/Neue Ruhr Zeitung)
Schwanger
Dass ich Nachwuchs erwarte,
ist mir
inzwischen am
Bauch anzusehen. Immer wieder wird mir auf der Straße
gratuliert. „Wann ist es denn so weit?“, fragen
Menschen,
die mit Kennerblick meine Figur richtig deuten. Aber
es wäre ein medizinisches Wunder, wenn ich das Kind auch zur
Welt
bringen würde: Männer können nicht
gebären.
Aber sie können sich die Schwangerschaft mit der Frau teilen.
Sieben Kilogramm legte ich in den vergangenen acht
Monaten zu — ein offensichtlich weit verbreitetes
Phänomen.
Nahezu alle Freunde setzten als werdende Väter
Babyspeck an. Ein Mysterium, das für Diskussionsstoff sorgt:
„Man(n) isst einfach mehr“, meint beispielsweise
Bert
(zehn Kilo). „Man bewegt sich weniger“, behauptet
Sven
(fünf Kilo). „Man bleibt zusammen mit der Frau mehr
zu
Hause“, beschreibt Mathias (sechs Kilo) die Situation.
Zusammenfassend: Werdende Väter sind verfressen,
träge
und langweilig.
Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen. Die
FdH-Diät kam
auf
den Speiseplan, die Jogging-Schuhe über die
Füße,
der Theaterbesuch aufs Abendprogramm — und trotzdem weitere
Pfunde hinzu. Egal. Die Kilo lege ich gerne drauf.
Stolz trage ich „mein Baby“. Soll man mir mein
Vaterglück doch ansehen!
(tls/Neue Ruhr Zeitung)
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