Tankred Stachelhaus

Journalist

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KRITIK

REPORTAGE

INTERVIEW

PORTRÄT

AUSGESTELLT

DOSSIERS
KÖLN: SANTIAGO SIERRA
ESSEN/ZÜRICH: AUGUSTE RODIN
HERFORD: ASTA GRÖTING
DUISBURG: JÖRG IMMENDORFF
ESSEN: BOGOMIR ECKER
HERFORD: AD ABSURDUM


Anstoßend, nicht anstößig

Köln: Santiago Sierras "445 Kubikmeter"

Geschmacklos? Ja, das ist jener Abenteuerspielplatz im Herzen Berlins, welcher der brutalen Monstrosität mit gründlicher Monumentalität gedenkt. Das Holocaust-Mahnmal schoss die Steilvorlage für Santiago Sierras Pulheimer Meisterwerk. Mit „445 Kubikmeter“ legte der Spanier den Finger in die Wunde - und stocherte dort so tief hinein, dass die ganze Nation aufschrie. Die schockierende Gaskammer in der ehemaligen Synagoge entlarvte, dass man in Deutschland dazu neigt, Erinnerungen mit Ritualen, Floskeln und Beton zu befrieden.

Eine der Kernfragen von Sierra lautet: Was hält die Gesellschaft aus? Bei Sierra ist es kein Kalkül, sondern zwangsläufig, dass diese sich provoziert fühlt. Egal, ob er Junkies eine durchgehende Linie über den Rücken tätowiert oder Asylbewerber in Pappkartons packt: In seinen Aktionen macht Sierra niemanden zum Opfer, der es nicht ohnehin schon ist. Radikal ist sein Ansatz, anstoßend, aber nicht anstößig. Zum Skandal gerät das, was Sierra als Thema aufgreift. Mit beachtenswert wenig Aufwand hat er dem, was sonst unter dem Stichwort „Gesellschaftskritik“ bestenfalls belächelt wird, in der Kunst wieder zur Relevanz verholfen.

(Tankred Stachelhaus / KUNSTZEITUNG)


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Verkorkster Kuss

Essen/Zürich: Zwei Rodin-Ausstellungen setzen neue Schwerpunkte

Dank dieser Schau müssen wohl so einige Verleger ihre Aufklärungsliteratur einstampfen: „Der Kuss“ prangt als Sinnbild inniger und ungezügelter Liebe auf so manchen sexuellen Ratgebern. Doch mit „Rodin. Der Kuss. Die Paare“ wird das vermeintliche erotische Glück als verkorkste, einseitige Beziehung entlarvt. Das Essener Museum Folkwang ist nach der Münchener Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung die zweite Station des spannenden Aufklärungsunterrichtes.


Auguste Rodin (1840-1917) hat selbst zur Fehlinterpretation seines berühmten Werkes beigetragen. Als einer der ersten Künstler überhaupt verwendete der Bildhauer massiv die Fotografie zur Verbreitung seiner Werke und seines Ruhmes. In den Vordergrund rückten auf den Bildern die leidenschaftliche Umarmung und die für die damaligen Verhältnisse provozierende naturalistische Nacktheit des Paares. Bis heute wird die Skulptur meist von frontal von einem leicht nach links versetzten Standpunkt aufgenommen. 

Suggeriert wird so die absolute Hingabe der weiblichen Figur – was auch richtig ist. Doch wer in Essen um die Skulptur herumgeht, wie es die Kuratorin Anne-Marie Bonnet erstmals mit einem unvoreingenommenen Blick tat, stellt fest, dass die männliche Figur verkrampft die Zuneigung abwehrt: Die Oberkörper berühren sich ebenso wenig wie die Lippen, seine Beine sind gespannt, die Zehen krallen sich im Felsen fest.

Wer einmal auf diese Spur gesetzt wurde, erlebt auch die übrigen 34 Plastiken in Marmor, Bronze und Terrakotta sowie die Zeichnungen und Fotografien aus einem neuen Blickwinkel. Die erstmals in einer Schau versammelten Paare erinnern nun frappierend an die mumifizierten Opfer der Vulkankatastrophe von Pompeji, die sich im Angesicht des Todes aneinanderklammerten. Sie erscheinen als ängstliche, introvertierte und unfertige Paare voller Widersprüche. Die meisterlich inszenierte Essener Schau kann sich auf die Fahne schreiben, die Paar-Skulpturen wieder in Rodins „Höllenpforte“ geworfen zu haben, jenem im Museum Folkwang leider fehlenden Schlüsselwerk, an dem der Bildhauer bis zu seinem Tod arbeitete und das er selbst als Fundgrube für seine Figuren wie eben auch „Der Kuss“ ausschlachtete.

Die Höllenpforte öffnet sich indes in Zürich. In einer großangelegten Retrospektive gibt das dortige Kunsthaus mit 160 Bronzen, Gipse und Zeichnungen einen Überblick über das gesamte Schaffen des französischen Bildhauers. Darunter finden sich ebenfalls ein Abguss von „Der Kuss“, natürlich „Der Denker“, aber auch selten gesehenes wie die aus Marmor gehauene Skulptur „Die Erde und der Mond“. Dabei wandelt der Besucher durch die von Kurator Christoph Becker wie in Essen offen inszenierte Ausstellung. Im Vordergrund steht jedoch weniger eine Neuinterpretation, sondern die einzelnen Schaffensphasen miteinander in Beziehung setzen zu können. (Tankred Stachelhaus / KUNSTZEITUNG)


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Unfähige Selbstgespräche

Herford: Asta Gröting mit "The inner voice" im MARTa

Kleinkunst mache ihr einfach "gute Laune", bekennt Asta Gröting (*1961 in Herford, lebt in Berlin). Seit 1993 bittet sie Bauchredner zum Gespräch mit einer von ihr selbst entworfenen Puppe. Die Dialoge gibt die Künstlerin vor: Mal reden beide aneinander vorbei, mal geraten sie in Streit, mal versucht die Puppe dem Bauchredner erfolglos aufzumuntern. "The inner voice" nennt Gröting dieses auf mittlerweile 29 Videoarbeiten angewachsene Langzeitprojekt. Sechs der tragikkomischen bis skurrilen Werke werden im MARTa Herford als Mittelpunkt einer Retrospektive mit insgesamt 14 Filmen auf die Innenwände des Frank O. Gehry-Baus projiziert. Dabei verschmelzen die "inneren Stimmen" zuweilen zu einer Kakophonie. Mit der Kamera setzt Gröting das fort, wofür sie auch als Bildhauerin unter anderem auf der Biennale Venedig 1990 bekannt wurde: innere Vorgänge offen zu legen, nach außen zu kehren, zu transformieren. Während ihre anatomischen Plastiken und introvertiert wirkenden Installationen empfindsam nach dem Ort der Seele suchen, spricht sich Gröting mit ihren Videoarbeiten locker selbst etwas von der Seele: von der Unfähigkeit des Menschen kooperativ zu kommunizieren - sogar im Selbstgespräch. (Tankred Stachelhaus / Kunst-Bulletin)


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Streng, aber gerecht

"Akademos": Jörg Immendorff  im Duisburger Museum Küppersmühle

„Mannomann“, dachte ich mir, als ich wieder auf der Straße stand. Anderthalb Stunden lang hatte der Maler in seinem Düsseldorfer Atelier jede lockere Bemerkung mit eiserner Strenge geahndet, mir vorgehalten, dumme Fragen zu stellen und sich darüber echauffiert, dass er Malerfürst genannt wird („wenn, dann müsste es doch Malerkaiser heißen…“). Schlaff hing beim Interview im Sommer 2002 sein Arm herab; er murmelte irgendetwas mit „eingeklemmter Nerv“. Fünf Jahre später ist Jörg Immendorff tot, und ich trauere im Museum Küppersmühle um einen Künstler, dessen Entschiedenheit ich damals mit Arroganz verwechselt habe.


Mit seiner Kunst war es ihm ernst. Deutschland, Kunst und vor allem Immendorff: Bei diesen drei Themen verstand der Maler keinen Spaß. Ihm ging es um eine Haltung. Mit großen Gesten und wirksamen Symbolen kommentierte er die gesellschaftliche Realität. Das wird aufs Neue in der jüngsten Ausstellung der Reihe „Akademos“ deutlich, die in Duisburg Professoren der Düsseldorfer Kunstakademie vorstellt. Bislang zeigte man hier Siegfried Anzinger, Hubert Kiecol, Rissa, A.R. Penck, Rosemarie Trockel und Markus Lüpertz. Die Schau wurde mit Immendorff noch zu Lebzeiten abgesprochen und arbeitet vier Jahrzehnte seines Schaffens in 90 Bildern chronologisch auf.

Immendorff, der Rebell: Wie in einem Kuriositätenkabinett hängen in einem Raum seine anfänglichen Agitations-Propaganda-Malereien aus den 1960er-Jahren. Während viele seiner Künstlerkollegen sich mit inneren Befindlichkeiten, Phänomen der Wahrnehmung oder formalen Problemen befassten, sah sich Immendorff, damals ganz Maoist, als Künstler im Dienste der Revolution. Das Bonzentum und ihm offenbar viel zu weiche Künstler wie Wolf Vostell und Klaus Staeck hatte er mit seiner Gebrauchskunst auf dem Kieker. Den Botschaften stellte er in seinen Lidl-Projekten Taten zur Seite. Die Dokumente dieser Phase wurden im Museum Küppersmühle zu Recht wie eine Fußnote räumlich an den Rand gedrängt.

Nach und nach löste sich Immendorff von seinen Belehrungen und wandelte sich zu einem Schöpfer von gewaltigen Bildwelten. In „Café Deutschland“ und „Langer Marsch auf Adler“ rockt Immendorff mit knalligen Farben über die Leinwand. Er malt die Vision der Deutschen Einheit und Bildpanoramen voller historischer Anspielungen – und immer wieder sich selbst, mit seinem Lehrer Joseph Beuys und anderen geschätzten Künstlern. In den Bildern tritt in Duisburg ein ganz anderer Immendorff auf: ein brüchiger, unsicherer, zuweilen sogar überraschend selbstironischer, der den Bildhauer im Maler zum besten Feind erklärt und sich vom Affen seinen Pinsel geben lässt.

Sein Malwerkzeug reichte er in seinem Spätwerk weiter, mit dem er wieder an seine Ursprünge anknüpfte. So wie er einst die Botschaft über das schnell gemalte Medium stellte, so gab er – wenn auch zwangsläufig - die Ausführung der nunmehr unbetitelten Bilder aus der Hand. Den allegorisch durchsetzten Bildern fehlt Immendorffs markanter Strich, und doch sind sie das sichtbare Zeugnis eines kompromisslosen Künstlers, der bis zuletzt Moral einforderte. (Tankred Stachelhaus / KUNSTZEITUNG)


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Fred Feuersteins Kamera

Essen: Bogomir Ecker im Museum Folkwang

Er knüpft an die Kunst- und Wunderkammern der Renaissance an und schafft Kammern, in denen man sich über Kunst wundern kann. Bogomir Ecker, nach eigenem Bekunden „Bastler, Forscher, aber durch und durch Künstler“, spielt mit dem Ideal von der universellen Einheit von Natur, Kunst und Technik - womit er im Museum Folkwang offene Türen einrennt. Die Essener Einrichtung zeigt jetzt mit der Schau „Man ist nie allein“ seine Attrappen von technischen Anlagen und Maschinen in der ständigen Sammlung.

„Funktionieren“ im eigentlichen Sinne tun Eckers Geräte nie und wenn doch, so sind sie eine Zumutung für jedes Museum. In der Kunsthalle Hamburg etwa installierte der 1950 in Maribor geborene Bildhauer über mehrere Stockwerke hinweg eine „Tropfsteinmaschine“, die mindestens 500 Jahre lang in Betrieb gehalten werden soll. Mehrere Generationen von Direktoren, Aufsichtspersonal und Besucher dürfen der Vollendung des Kunstwerks entgegenfiebern.

In Essen greift der an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste lehrende Generalist weniger langfristig in den Ausstellungsbetrieb ein, dafür aber das neue Konzept des Folkwang Museums auf. Im Rückgriff auf die Intentionen des Sammlungsgründers Karl Ernst Osthaus hat man hier gerade das Kunsthandwerk aus dem Depot geholt und mit zeitgenössischer Kunst und Klassischer Moderne konfrontiert. Statt einer Unterteilung in Stile und Epochen soll fortan die Suche nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den Weltkulturen im Mittelpunkt stehen.

„Mein Werk hat viel mit der Sammlung zu tun“, erklärt Ecker, dem es auch immer darum geht, die Beziehungen innerhalb des Bestehenden bewusst zu machen. Gleich mehrfach kommen seine wie kindliches Spielzeug erscheinenden Geräte zum Einsatz. An Roboter erinnernde Figuren hängen wie Marionetten einem Eisenträger herunter und Kameras, an denen Fred Feuerstein seine Freude hätte, beobachten einen verlassenen zoologischen Garten. Ein wie aus dem Boden herausgehoben wirkender, schallgedämmter Raum mutet wie eine Verbeugung vor dem Studiolo an, jener Kammer, in welcher der dem Universalgenie verpflichtete Adel des frühen 17. Jahrhunderts die Wunder der Welt zusammen führte. Als einziges Mobiliar steht in der Ecke eine Arbeitsplatte aus seiner Studienzeit, die der Künstler als Verweis auf technische Errungenschaften samt Flecken, Absplitterungen und Kratzer in Aluminium nachgegossen hat. Rätselhaft sind Eckers Werke – und doch sind sie das Sinnbild für eine globalisierte Welt, in der durch die Neugierde des Künstlers das Separate seinen Platz im Gesamten finden und behaupten kann. (Tankred Stachelhaus / KUNSTZEITUNG)


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Extra beliebig

Herford: Schau "Ad Absurdum" gerät zur absurden Abrechnung

Absurd ist so manches in Herford. Die 65.000-Seelen-Gemeinde leistet sich ein Kunstmuseum, das nach Weltgeltung unter der Leitung von Jan Hoet strebt. Strebte, muss man vielmehr sagen – denn nach vielen Querelen hat die Stadt einen Nachfolger für den Belgier präsentiert: Der Noch-Leiter der Städtischen Galerie Nordhorn, Roland Nachtigälla, übernimmt nächstes Jahr den künstlerischen Chefsessel in dem spektakulären Frank O. Gehry-Bau. Er wird auf eine vergiftete Atmosphäre, eine resolute Geschäftsführerin und einer in weiten Teilen von dem teuren Museum entnervte Bürgerschaft treffen. Die jetzt eröffnete Schau „Ad Absurdum“ ist eine der letzten großen Ausstellungen von Jan Hoet in seinem von ihm gern „Ferrari“ genannten Bau - mit der er  bis zum 27. Juli „Energien des Absurden von der klassischen Moderne zur Gegenwart“ durchexerziert und in seinem Sinne aktualisiert.

Hoet lässt die Muskeln spielen. Mit seinen glänzenden Kontakten hat es der Leiter der documenta IX (1992)  erreicht, dass man förmlich erschlagen wird von der Fülle der Künstlernamen. Die Dadaisten sind vertreten, die Fluxus-Bewegung, Martin Kippenberger, Sigmar Polke, Felix Droese, aber auch jüngere „Absurde“ wie Jonathan Meese und die Chapman-Brüder: Kathryn Cornelius lässt in ihrem Video eine Frau in Abendgarderobe den Strand staubsaugen .Thomas Rentmeister füllt einen Einkaufswagen mit so viel losen Zucker, dass er versinkt. Netko Solakov lässt eine Ecke im Museum gelb anmalen und schreibt dazu, dass er vergessen hat, warum – und stellt damit die Kernfrage der Ausstellung: Weil jegliche Kunst den Anspruch erhebt, von der Normalität abzuweichen, ist ihr Charakter stets absurd. Und absurd ist nicht immer lustig, wie ein fiktiver Lego-Bausatz eines Konzentrationslagers zeigt. Der Titel „Ad Absurdum“ wird im Marta als Freibrief verstanden, reichlich beliebig Werke aneinander zu reihen.

Man wird das Gefühl nicht los, dass Hoet einen absurden Einfall von René Magritte als Blaupause für „Ad Absurdum“ aufgriff. Der belgische Surrealist, so berichtet Hoet, habe nie eine Ausstellung in Paris machen wollen. Als er es dann doch tat, so habe er absichtlich schlechte Bilder abgeliefert, mit denen er sich über die „Kommerzstadt“ lustig machen wollte. Ob es Hoet ihm gleich tut? Dass der sonst so inspirierende Ausstellungsmacher absichtlich eine derartige Schau abgeliefert hat, erscheint jedenfalls passend zum Ausstellungstitel höchst absurd. Als Poster zu „Ad Absurdum“ kann man übrigens einen vergrößerten Brief von der Marta-Geschäftsführung an Hoet mit dem Betreff „Ankauf von Kunstwerken ohne Budgetdeckung“ kaufen. Das erste Bild im Katalog ist Hoets Antwortschreiben. Der 71-Jährige, der sich zuletzt lautstark darüber echauffierte, dass die Bürokratie die Kunst im Marta verdrängt, nutzt „Ad Absurdum“ offenbar zur persönlichen Abrechnung mit der Stadt. Absurd. (Tankred Stachelhaus / NRZ)


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