Tankred Stachelhaus

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KRITIK

REPORTAGE

INTERVIEW

PORTRÄT

AUSGESTELLT

DOSSIERS
FRIEDRICH GRÄSEL: RÖHRENDE KUNST
ULRICH MEISTER: VOM WESEN DER DINGE
LUCIA DELLEFANT: PROVOZIERTE WENDEPUNKTE

Röhrende Kunst

Friedrich Gräsel zum 80. Lebensjahr

Bei seiner Kunst blickten viele in die Röhre: In Bochum fuhr ein betrunkener Autofahrer eine Plastik zu Schrott. Eine andere wurde in Marl mutwillig zerschlagen. In Konstanz fiel eine Figurengruppe einem Brandanschlag zum Opfer. In Berlin schmiss man eine vor dem Martin-Gropius-Bau aufgestellte Plastik mit dem Bagger auf eine benachbarte Brachfläche. Und in Hamburg verrottet noch immer ein irgendwo im Freien gelagertes Werk, das einmal so etwas wie ein äußeres Wahrzeichen der Kunsthalle war. Friedrich Gräsel kennt sich aus mit Kunst im öffentlichen Raum – und so auch mit ihren Schattenseiten. Sein runder Geburtstag am Anfang des Jahres verstrich ohne eine ihm gebührende offizielle Feier, geschweige denn einer Retrospektive. Diese wurde nun aber als Buch nachgelegt. „Friedrich Gräsel“ heißt die im Wienand-Verlag erschienene Publikation über das Werk des 80-jährigen Bochumers, der mit seinen Röhrenplastiken wie kein anderer das Bild des Ruhrgebietes prägte.

„Die Röhre ist die einfachste Form“, sagt Gräsel. Was für den Zeichner die Linie ist, ist für den Bildhauer das Rohr: „Man kann es biegen, sägen, schweißen und platt hauen“. Darüber hinaus legte er Gebäude, Landschaften und eigene Plastiken an die Kette. Den industriellen Ursprung seiner Werkstoffe aus Edelstahl, PVC und Asbestzement hat Gräsel bewusst aufgriffen. Das streng vorgegebene Material-, Farben- und Formenrepertoire befreite er aber von seinem Zweck und überführte es in geometrische und ästhetische Chiffren. Bei seinen Röhrenlandschaften gerieten in der Ferne sichtbare Industrieanlagen zu peripheren Bestandteilen seiner Plastik.

Deutlich wird Anspruch auf die Vorherrschaft des Künstlers in einer technisch dominierten Welt erhoben. Dafür war sich Gräsel auch nicht für Gebrauchskunst zu schade. Zuerst mit der 1969 gegründeten Künstlergruppe „B1“, benannt nach der heute A40 genannten Autobahn durch das Ruhrgebiet, dann setzte sich der Bildhauer im Alleingang für eine Humanisierung der Städte und Verkehrsadern ein. Er gestaltete Beschilderungen, Schallschutzwände und Abluftrohre. Die wulstige und blau bemalte Einfahrt zum Autobahntunnel Hemberg (A46) ist sein Werk. Als Professor an der Essener Universität folgte er dem Leitgedanken, dass Lehre, Vermittlung und Kunst eins sind. „Mein Lebensraum ist das Industriegebiet an der Ruhr“, pflegt Gräsel zu sagen. Mit seiner röhrenden Kunst hat er mit zum Selbstbewusstsein der Region beigetragen, die sich mit Projekten wie „IBA Emscherpark“ ihrer Industriekultur erinnerte und sich nun anschickt, im Jahr 2010 die Kulturhauptstadt Europas zu sein.  (© KUNSTZEITUNG / Tankred Stachelhaus)


 „Friedrich Gräsel“, Wienand Verlag 2007, 215 Seiten. Dem Buch liegt ein komplettes Werksverzeichnis auf DVD bei.

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Vom Wesen der Dinge

Ulrich Meisters minimalistische Textobjekte werden vom Markt ignoriert

Seinem Besuch schenkt er Tütenwein ein, gekühlt auf dem Balkon. „Kaufst du auch bei Aldi ein?“, fragt er verschmitzt. „Ich jedenfalls muss sparen.“ Auf dem Tisch liegen Karteikarten, auf die er spontane Einfälle notiert und lang überlegte Gedanken präzisiert. Ein junger Autor will daraus ein Buch machen - wenn sich denn ein Verlag findet. Eine Notiz widmet sich dem Kunstmarkt: „Sein ,Mich-Ingnorieren’ ist natürlich beklagenswert, aber nicht von längerfristigen Einfluss auf meine Befindlichkeit“, steht da. Und weiter: „Dass ich dies aufschreibe, zeigt allerdings, dass ich mir der Standfestigkeit dieser Verfasstheit nicht wirklich sicher bin.“

Ulrich Meister hatte 1992 auf der documenta IX mit „Textobjekten“ seinen Durchbruch. Neben einen Spielball, einen Gummiring und einen Wäscheständer hing der Maler, Zeichner und Objektkünstler jeweils einen kurzen Text an die Wand, der die Alltagsgegenstände poetisch überhöhte. Über ein Dutzend Ausstellungen im Jahr rund um den Globus waren die Folge. „Ich habe ziemlich Fuore gemacht“, lacht der 59-Jährige.

Noch heute eilt dem gebürtigen Schweizer sein Ruf vielerorts voraus. Kunstvereine bitten ihn für thematische Gruppenausstellungen um einen Beitrag, und nicht wenige Künstler sehen in dem theoretisch versierten Meister eine Autorität: Sein herzliches Wesen, seine - zuweilen von Selbstzweifeln genährte - Lust an der konstruktiven Kritik und vor allem sein bedeutendes minimalistisches Werk, mit dem er keine Fragen aufwirft, sondern auf der Suche nach dem Wesentlichen um sinnliche Antworten ringt – all das hat ihn zu einen gefragten Wegbegleiter und Ratgeber gemacht. Seine nahe liegende Hoffnung auf einen Sprung in die Lehre blieb allerdings bislang unerfüllt.

Sein eigener Lehrer, das war von 1968 bis 1973 Joseph Beuys. Nach einer Ausbildung als Schriftsetzer in seiner Heimatstadt Schaffhausen hatte es Meister an die Düsseldorfer Kunstakademie regelrecht verschlagen. Während andere malten und werkelten, dichtete er in der Beuys-Klasse als Meisterschüler. „Du musst ein Prinzip finden“, trichterte ihm sein Professor ein. Beuys spürte offenbar, dass da jemand die Alltagswelt durch einen sprachlich-künstlerischen Eingriff zu Kunst erheben konnte. Dass da einer war, der die gedankliche Verbindung eines Gegenstandes mit einem Begriff manipulierte. Dass dieser Meister das allgemeine Wesen eines Objekts offen legen, aber zugleich individualisieren will.

Seinen Boom erlebte Meister nach dem Ende der „Jungen Wilden“, als Schönheit, Substanz und Klarheit wieder gefragt waren. „Aber seit etwa 2001 ist die öffentliche Reaktion stark zurück gegangen“, sagt Meister. Eine Handvoll kleinerer Galerien handelt noch mit seinen Arbeiten, mit weniger als mäßigem Erfolg. Sein Name schmückt unter anderem das Programm der Galerie Martina Detterer (Frankfurt), der Galerie Skopia (Genf) und der Galerie Andreas Brüning (Düsseldorf). Nach seiner letzten Ausstellung in der Essener Galerie Jürgen Kalthoff konnte er wieder einmal alle Bilder und Objekte zurück in sein Kleinstatelier nach Düsseldorf schaffen.

Bis zu einem halben Jahr dreht und wendet der Künstler darin die Sätze seiner „Textobjekte“. Doch wer kauft heute schon einen Kamm, neben dem auf einem Zettel in Schreibmaschinenschrift steht: „Die Leiste führte auf ihren gradlinigen Weg eine engstehende Zackenreihe mit“? fragt sich Meister ratlos. Materialwert: unter einem Euro, angeboten für 2.000 Euro. Wobei der Preis mangels Nachfrage „völlig in der Luft hängt“, wie der Düsseldorfer bekennt.

Schon früh versuchte Meister gegenzusteuern. Zu seinen „Textobjekten“ gesellten sich verstärkt die Zeichnung und die Malerei. Mit wenigen Linien geht Meister dabei etwa der „Idee“ eines Brotlaibs, einer Zeitung oder einer Nähgarnrolle auf dem Grund. Er schneidet aus der Leinwand die Umrisse einer Birne, setzt einen von Hölzchen auf Stöckchen kommenden Text auf grauem Grund hinter die Zeichnung einer Flasche und malt in Schönschrift einen Schulaufsatz mit Korrekturen. Trotz ihrer nüchternen Beschaffenheit und ihres intellektuellem Anspruchs, übergeordnete Zusammenhänge mit einer einzigartigen Kontur zu verbinden, entfalten auch diese Werke ihre eigentümlich berührende Wirkung. Die Preise für die Tafelbilder lassen sich besser festsetzten. Künstlerfreunde rieten ihm angesichts seiner Reputation und seines Alters zum Faktor 30.

„Meine Werke haben früher eher Kunstliebhaber als entscheidende Sammler gekauft“, bilanziert Meister. „Ich umkreise Sie“, sagte ihm einmal ein wichtiger Sammler. Dabei blieb es bislang – wie bei manchen Ankaufsversprechungen öffentlicher Sammlungen. Zu billig habe er zudem seine „Textobjekte“ in zu hohen Auflagen für damals 1.500 Mark aus der Hand gegeben. Meister spricht offen über seine jetzige Situation. Doch im Gespräch im grellen Neonlicht seines Ateliers ist er bald wieder in seinem Kunstkosmos. An der Wand hängen Buntstifte. Schon lange arbeitet er an dem dazu passenden Text. „In feinstes Tuch gehüllt, luden sie das Auge ein, auf ihnen zu verweilen“, lautet die aktuelle Version. Auf den Einwand hin, dass das „feine Tuch“ nicht die farbige Lackierung der Stifte, sondern auf die durchsichtige Packung verweisen kann, fällt er ins Grübeln. Meister wird so lange weiter an dem Text feilen, bis er aus dem Strom der Gedanken eine feste Form fischt. Für sein gesamtes Oeuvre hat er diese schon. Es ist ein Meister-Werk. (© KUNSTZEITUNG / Tankred Stachelhaus)


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Provozierte Wendepunkte

Du bist der Star: Lucia Dellefant feiert den Menschen

Wenn man mit der Künstlerin zusammensitzt, dann fällt einem ihr Lachen auf. Lucia Dellefant ist eine herzliche Person mit einem ansteckenden Lachen. Eine, die zwar engagiert, zuweilen hart in der Sache argumentiert und sich durchaus sehr ernst nimmt, der es trotzdem an Selbstironie nicht mangelt. Neugierig tritt sie ihren Mitmenschen gegenüber, und viel von ihrem Wesen steckt auch in ihrer Kunst: „Ich habe kein Anliegen, außer die Kultur für eine wache Gesellschaft zu schaffen“, sagt sie.

Lucia Dellefant weckt auf. Ihre Botschaft: Warte nicht darauf, entdeckt zu werden, spare dir die Castings – du bist bereits ein Star! Der Star deines Lebens. Du bist du. Mehr nicht, aber auch nicht weniger. Ihre Kunst gibt Selbstvertrauen. Sie schenkt den Menschen den Glauben an sich selbst. Weder belehrt Dellefant noch gibt sie Ratschläge zur „Selbstverwirklichung“, einem Wort, was ohnehin unsinnig ist. Man ist immer man selbst – es kommt nur darauf an, was man daraus macht. Mit ihren Installationen, Aktionen und Sprüchen fördert sie (künstlerische) Energien zu Tage.

Man kann die Münchenerin als Joseph Beuys der „Deutschland sucht den Superstar“-Generation sehen. „Jeder Mensch ist ein Star“, dürfte sie in Abwandlung von „Jeder Mensch ist ein Künstler“ sagen. Doch wie Beuys es mitnichten meinte, dass nun alle Menschen mit bepinselten Leinwänden die Museen stürmen sollen, geht es Dellefant ebenso wenig darum, Prominente am laufenden Band zu produzieren. Liebevoll ermuntert sie stattdessen Menschen, mit offenen Augen und bewusst durchs Leben zu gehen.

„Du brauchst keine Erlaubnis, um etwas zu verändern“, sagt Dellefant. Mit dem „Change Award“ macht sie jeden zum Star. Die weiße Kleinskulptur, zu der man zwei runde Podeste hinaufschreitet und die aus dem Schriftzug „Change“ besteht, ist der Oscar für jedermann - Auszeichnung und Handlungsaufforderung zugleich. Man verleiht ihn sich selbst nicht für etwas Zurückliegendes, sondern vorab für eine Leistung, die in der Zukunft liegt. Sie macht Mut für Veränderungen.

Lucia Dellefant, das klingt schon nach einem Künstlernamen. „Vor Urzeiten“, meint Dellefant, wanderte ihre Familie aus Italien nach Deutschland ein. Einige nahe Verwandte arbeiteten in künstlerischen oder gestaltenden Berufen. Das bildungsbürgerliche Elternhaus unterstützte Dellefant, „Kunst auf Lehramt für Hauptschule“ in München zu studieren, und staunte trotzdem, als die Tochter nach dem Studium die Sicherheit eines festen Jobs gegen das Wagnis eines Lebens als freischaffende Künstlerin eintauschte.

Während des Studiums widmete sie sich der Protestkunst; malte wirre, comicartige, völlig überladende und wütende Bilder. Was immer sie auch anprangerte: Es war Protest um des Protests willen, eine trotzige Attitüde einer jungen Künstlerin, die, aus der Geborgenheit des Elternhauses entlassen, es allen zeigen musste. „Ich habe vor mich hingerotzt“, sagt sie heute über ihr Frühwerk, „und mich zum Hinschmieren gezwungen. Dabei bin ich ein genauer Mensch, der auf Ordnung achtet.“ Es war die Zeit der „Jungen Wilden“, einem Trend, dem sie wider ihrem Naturell hinterher gerannt ist, wie ihr spät, aber nicht zu spät auffiel.

Diese Erkenntnis markierte einen wichtigen Wendepunkt ihres Werks, wenn nicht gar den wichtigsten. Sie fragte sich: „Was ist mir wichtig? Ist das, was ich tue, identisch mit dem, was ich bin?“ Es sind einfache Fragen, auf der sie ihr nachfolgendes Werk aufbaute. „Nur gegen etwas zu sein, war mir zu wenig. Ich möchte gestalten“, sagt Dellefant. Sie fand dabei nicht nur die rechten gestalterischen Mittel, ihre Fragen zum Persönlichkeitskonzept auf ein künstlerisches Niveau zu heben, sondern ihr Werk als belebenden und herausfordernden Austausch mit den Menschen zu zelebrieren. Nichts ist ihr so fern wie schnöde Gesellschaftskritik. Sie umarmt stattdessen die Gesellschaft, um Wendepunkte zu provozieren.

Nach dem Studium lebte sie ein Jahr lang in New York, malte wie besessen, besuchte laufend Ausstellungen und ließ sich, es war Anfang der 1990er-Jahre, von der spannenden Zeit der Techno-Parties, „wo es nur darum ging, sich die Birne zuzuballern“, inspirieren. Am Times Square stand sie an dem Ort, wo Jenny Holzer im Jahre 1982 den Spruch „Protect me from what I want“ über eine riesengroße LED-Anzeige laufen ließ.

Das Werk der US-Medienkünstlerin hat Dellefant stark beeindruckt. War die Schrift in ihrer Bildern bis dato unschlüssig inspiriert von Agitations-Pop-Künstlern wie Jörg Immendorff, der in seinem Frühwerk ganze Leinwände mit Belehrungen voll textete, so bestimmen nun kurze Sätze, oft auch nur einzelne Worte, ihre Arbeiten. Geschickt kombiniert sie die Sätze mit prägnanter, im Gesamtausdruck schon „typografisch“ zu nennender Malerei. Schrift und Bild verbindet sie zu Aussagen.

In der Reihe "Society Signs" preist sie Wörter an wie ein beworbenes Produkt, etwa "bequem", "stolz" oder "Oberfläche“. Sie aktiviert kollektive Reizmuster. Offen bleibt dabei, ob die Aussage eine Wunschvorstellung oder den Ist-Zustand beschreibt, ob es sich um eine Aufforderung handelt oder um ein Ziel, das allein durch das Lesen seiner Niederschrift erreicht wird. Die Wörter reißen, aus dem Zusammenhang gerissen, Grenzen ein. Mit der Unbestimmtheit, dem ihnen innewohnenden Wechsel macht Dellefant stutzig.

In der Reihe "life design" kombiniert sie Lebensentwürfe mit konstruktiver, gleichwohl fragmentarisch-offener Malerei. Mehrere Ebenen schieben sich übereinander. Gemalte Holzmaserungen stoßen an farbige Flächen. Man findet geometrische Objekte, bunte Kreise, aber auch freihändig gemalte Pinselstriche und mehr. An manchen Stellen wirken die Bilder unfertig. Sie sind Bauplan und Materiallager zugleich: Am Wissen und an den Ressourcen soll der Wechsel nicht scheitern. "Ich will mich lebendig fühlen und bedingungslos lieben können", steht auf einem solchen Bild. Das Prozesshafte der Malerei treibt den Wunsch an.

Parallel arbeitet sich Dellefant von einer anderen Seite an die Menschen heran. In Darmstadt, Frankfurt und Köln hat sie in einem Gemeinschaftsprojekt mit B.B.B. Johannes Deimling aus Altpapier, Glasflachen, Plastikflaschen und Konservendosen ein großes „Mensch ärgere dich nicht“-Spiel aufgebaut, um die Leute nach ihrer Meinung zum „Dualen System“ und zu Recycling zu befragen. Das war ihr erstes Projekt, in welchem sie die Möglichkeiten des öffentlichen Raumes für sich entdeckte.

Inzwischen baut Delefant Möbelskulpturen, die Kommunikation fördern. So initiiert sie gezielt Gesprächsrunden in ihrer mobilen Diskussionsplattform "Visioning". In der modularen Installation aus bunten Sitzmöglichkeiten fragt Dellefant an verschiedenen Orten ihre Gäste nach ihren Visionen: Wissenschaftler, Musiker, Politiker, Künstler, Wirtschaftsvertreter, Abiturienten. "Gibt es sie noch, die Utopien in der Kunst?", war die Eingangsfrage auf der ersten Veranstaltung, die im Rahmen des boulevART (Kunstherbst Berlin) für Gesprächsstoff sorgte. Dass die Gäste und das Publikum allein durch ihre Beteiligung Dellefants Utopie einer aufmerksamen, engagierten Gesellschaft ein Stückweit näher an die Realität gebracht haben, dürfte die Münchener Künstlerin mit leichter Ironie durchaus einkalkuliert haben. Auf den weiteren Stationen machte Dellefant deutlich, dass die Diskussions-Installation sich nicht selbst genügt, sondern als kommunikatives und aktivierendes Zukunftslabor funktioniert.

„Warum sammeln sie Kunst?“ - diese beliebte Interviewfrage war der Ausgangspunkt einer weiteren Möbelinstallation. Im Kunstbetrieb sorgt "Collectors Identity" für Selbstreflexion. Auf den Kuben der Sitzlandschaft stehen Zitate von namenlosen Sammlern. "Zeitgenössische Kunst zu besitzen, hebt mich aus der großen Masse der Gesellschaft" steht da zum Beispiel. Bei der Recherche in Interviews förderte Dellefant viele Antriebe zu Tage, Kunst zu sammeln. Die Bandbreite reichte von Dekoration, Angeberei, Abgrenzung, Status und Gewohnheit bis hin zur Leidenschaft, sich von Kunst berauschen oder in unbekannte Welten entführen zu lassen – wobei natürlich keine der Gründe sich gegenseitig ausschlossen. Wieder einmal geht es Dellefant mit ihrem überall aufbaubaren Werk um die Bewusstmachung von Motiven, die Handlungen zugrunde liegen.

Einen speziellen „Change Award“, den „goldenen“, verleiht Dellefant gegen den Strich denkende und handelnde Organisationen und Institutionen. Die schmucke Trophäe erhielten die Globalisierungsgegner ATTAC und eine Seniorengenossenschaft in Riedlingen, die sich für ein Rentensystem japanischer Prägung in Deutschland stark macht. Dabei dreht sie den Spieß der "Künstlerförderung" um. Dellefant macht mit ihrem „Change Award“ etwas, was vielleicht das ureigenste aller Künstler ist: Sie lenkt den Blick auf etwas, hebt heraus, was ihr wichtig erscheint, und regt an. Nur, dass ihre Leinwand die Gesellschaft ist. (© Tankred Stachelhaus, Oktober 2008)



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