Tankred Stachelhaus

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KRITIK

REPORTAGE

INTERVIEW

PORTRÄT

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DOSSIERS

DOSSIER: Museum Folkwang

Chronologie

Hubertus Gaßner folgt Georg Wilhelm Költzsch. Der neue Direktor streicht die Wände des Altbaus bunt an. Doch trotz seines kurzen Gastspiels in Essen vermag er einen enorm wichtigen Impuls zu setzen: Die Rückbesinnung des Museums auf seinen visionären Gründer Karl Ernst Osthaus. (-> INTERVIEW MIT GASSNER). +++ Ein Nachfolger wurde gesucht und mit Hartwig Fischer gefunden. Der Mann ist im Ruhrgebiet fast unbekannt. (-> REAKTIONEN AUF SEINE ERNENNUNG). +++ Gaßner verabschiedet sich mit einem doppeldeutigen Festvortrag von der Stadt (-> MACHT'S GUT UND DANKE FÜR DEN FISCH). +++ Derweil muss Fischer, der bald ohne Museumsbau dasteht, jedes Wort auf die Goldwaage legen (-> BEHEBUNG EINES NOTSTANDES) +++ .Rundherum geht's nämlich hoch her: Der Museumsverein setzt die Stadt wegen des maroden Anbaus aus den 1980er-Jahren unter Druck (-> AM SCHEIDEWEG). +++ Da überrascht Berthold Beitz die Öffentlichkeit: Die Krupp-Stiftung zahlt als alleinige Förderin einen Neubau (-> DANKBARE VATERSTADT). +++ Der Architekturwettbewerb vergibt den ersten Platz an David Chipperfield, den zweiten an David Adjaye (-> NOBLER ENTWURF). Die Fachwelt ist entzückt. (-> KEINE ARCHITEKTONISCHE LUFTNUMMER) +++ Chipperfield zeigt sich allerdings verwundert, warum er der Jury Nachbesserungen vorlegen muss, um den ersten Platz zu behaupten (-> HÄ?). +++ In Rekordbauzeit wird der 55-Millionen teure Neubau errichtet. Es ist ein tolles Haus geworden (-> INTEGRATIVE KRAFT). Wirklich (->PULSIERENDE KRAFTZENTRALE)!



Die Welt in der Nussschale

Interview mit Hubertus Gaßner, Museum Folkwang, Essen

Es sei im Ruhrgebiet nicht einfach, „irgendwie anders“, sagt Hubertus Gaßner, der vor zwei Jahren seinen Posten als Ausstellungsleiter am Haus der Kunst in München drangab und als Direktor des Museums Folkwang nach Essen zog. „Es gibt hier eine gewisse Überempfindlichkeit. Das macht mich ein bisschen kribbelig“, sagt der 1952 in Frankfurt geborene promovierte Kunstwissenschaftler der KUNSTZEITUNG. Mit den Gedanken war der Folkwang-Chef im Gespräch mit Tankred Stachelhaus vielleicht schon ganz woanders. Denn genau zum Redaktionsschluss kam heraus: Gaßner beerbt im Februar 2006 Uwe M. Schneede von der Hamburger Kunsthalle. Dort sei ein neues Haus fertig gestellt, ließ Gaßner verlauten, in Essen stehe dies noch an. Er wolle auch wieder verstärkt selbst Ausstellungen organisieren. In Essen habe er „wichtige Dinge angestoßen“. Seinen Job will er noch bis zum Ende „voll ausfüllen“.


KUNSTZEITUNG: Das Museum Folkwang hat die Begründer der Moderne durchdekliniert – von van Gogh über Gauguin bis zuletzt Cézanne (bis 16.1., siehe KUNSTZEITUNG, Nr. 100). Gehen Ihnen bald die großen Namen aus?


Hubertus Gaßner: Hier wurden immer populäre Themenausstellungen gemacht, die nur mit einem großen Namen verbunden wurden. Matisse wäre an der Reihe gewesen, aber den zeigt ja jetzt Düsseldorf. Wir werden mit Hilfe unserer Sponsoren statt dessen einen älteren Künstler vorstellen. Mehr darf ich noch nicht verraten.


KUNSTZEITUNG: Was erhoffen Sie sich von diesen Blockbustern?


Hubertus Gaßner: Wir leben in einer Eventkultur und die Museen sind Teil der Unterhaltungsbranche geworden. Das ist die Realität. Die Sponsoren wollen etwas Populäres, Erfolgreiches, etwas, das Macht bringt. Auch ich bin froh, wenn das Museum voll ist. Große fremdfinanzierte Ausstellungen wie Cézanne bringen Geld und machen vor allem bekannt. Wir haben sonst weder die Stellen noch die Mittel, um für uns zu werben. Noch nicht einmal ein Faltblatt für unsere Veranstaltungen – nur eine Schultafel im Eingang, auf die ich alles schreibe. Für mich ist es jedenfalls die dringendste Aufgabe, auch außerhalb der großen Schauen Publikum ins Museum zu bekommen. Der normale Besuch in der ständigen Sammlung ist mit 20 000 Menschen im Jahr sehr gering. Manchmal kommen nur fünf oder sechs Menschen am Tag. Da muss ein Ausgleich stattfinden. Um das zu erreichen, will ich auch zum einen eine Art Freundschaftsverein initiieren, der aktiv im Museum sein gesellschaftliches Leben pflegt. Das gibt es in Essen so gut wie nicht. Zum anderen soll vom Herbst an der Eintrittpreis in die ständige Sammlung entfallen. „Diese Eintrittskarte wurde ihnen geschenkt von …“ steht dann mit dem Namen eines Sponsors auf der Karte.


KUNSTZEITUNG: Mit welchen inhaltlichen Konzepten wollen Sie das Museum profilieren?

 

Hubertus Gaßner: Das Museum Folkwang wird nach meiner Vorstellung in Zukunft kein reines Malereimuseum mehr sein. Die verschiedenen Gattungen werden wieder transparent zueinander. Das entspricht den Vorstellungen des Museumsgründers Karl Ernst Osthaus, der Anfang des 20. Jahrhunderts neben der damals aktuellen Kunst wie Kirchner und van Gogh auch afrikanische Masken, chinesisches Porzellan und ägyptische Statuen gesammelt hat. Wir haben sogar 40 000 Schmetterlinge und eine Mineraliensammlung. Er wollte ein Museum haben, das die ganze Welt wie in einer Nussschale abbildet. Ich habe vor, diesen Gedanken von damals zu aktualisieren – allerdings ohne den naturwissenschaftlichen Teil – und zudem die Sammlung so zu verdichten und zu strukturieren, dass sie immer mit der Gegenwart konfrontiert wird. Damit werden wir in Deutschland eine einmalige Position haben. Was an Kunsthandwerk da ist, wird in Teilen wieder integriert. Ich kann etwa wunderbar eine Buddha-Statue mit einem Gauguin-Bild zusammenbringen und somit Verständnis dafür erwecken, warum Osthaus das damals gesammelt hat. Nur wie’s dann weitergeht bis heute, da überlegen wir noch. Wir fangen an mit zwei Experimentalräumen und beobachten, wie das funktioniert.


KUNSTZEITUNG: Kunsthandwerk?! Fürchten Sie da keinen Spott?


Hubertus Gaßner: Ich will keine Mischung aus Kunstgewerbe-Museum und Museum für moderne Kunst, sondern verfolge den integrativen Ansatz. Die Grenzen zwischen Skulptur, Objektkunst und Gebrauchskunst sind genauso fließend geworden wie die zwischen Fotografie, Film und Malerei. Wann wird ein Objekt zum Kunstwerk? Das fragen heute auch viele Künstler selbst. Deshalb werden wir auch Ankäufe bei Künstlern machen, die in ihren Werken fragen, was ist überhaupt Kunst und wie funktioniert Kunst. Und bei Künstlern, die anwendungsbezogen arbeiten und eine Affinität zum Design haben.


KUNSTZEITUNG: Welchen Ankaufsetat haben Sie dafür zur Verfügung?


Hubertus Gaßner: Verschiedene Stiftungen stellen uns im Jahr 500 000 Euro zur Verfügung. Von der Stadt soll es zwar jährlich 100 000 Euro geben, doch die sind schon seit Jahren eingefroren. Von der Stadt gibt es also nichts.


KUNSTZEITUNG: Bei der Ausstellungsreihe „moving energies“ zeigten Sie „Aspekte der Sammlung Olbricht“. Welche Rolle wird der Essener Sammler in Zukunft für das Museum spielen?


Hubertus Gaßner: Ob es zu einer möglichen Kooperation mit Thomas Olbricht kommt und ob die Sammlung mit derzeit über 1800 vornehmlich zeitgenössischen Werken in Teilen oder als Ganzes, vielleicht sogar in einem Extrabau, ausgestellt wird – soweit sind wir im Moment noch nicht. Das Ruhrlandmuseum, mit dem wir uns das Hauptgebäude teilen, zieht bald als Ruhrmuseum auf die Zeche Zollverein. Wir haben dann mehr Platz, auch für ein Kupferstichkabinett und eine ständige Ausstellung der fotografischen Sammlung. Bevor das Museum Mitte 2006 für den Umbau oder Abriss – ich würde letzteres bevorzugen – schließt, werden wir noch einmal eine große Schau mit Arbeiten aus der Sammlung Olbricht präsentieren, sozusagen als Hoffnungszeichen, dass es irgendwie weitergeht. Die Ausstellung erlaubt dann auch der Bevölkerung und Fachleuten zu beurteilen: Ist es gut für das Museum, die Sammlung mitzubetreuen, oder nicht?


(Tankred Stachelhaus / KUNSTZEITUNG, Nr. 101, Januar 2005.)


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Überraschung in Essen

Hartwig Fischer wird Gaßner-Nachfolger am Museum Folkwang

Man hätte annehmen können, dass man in Essen für Hubertus Gaßner nur schwer einen Nachfolger findet. Wer will schon Direktor einer Baustelle werden? Ab 2007 wird der Neubautrakt des Museum Folkwang wegen Brandschutzauflagen komplett saniert, womöglich sogar ersetzt. Doch meldeten sich zahlreiche, auch namhafte Bewerber für den Posten. Im Gespräch waren unter anderem Thomas Kellein von der Kunsthalle Bielefeld und Sabine Schulze vom Frankfurter Städel-Museum. Überraschend machte vor der sechsköpfigen Findungskommission allerdings Hartwig Fischer das Rennen, bislang Leiter der Abteilung 19. Jahrhundert und Klassische Moderne am Kunstmuseum Basel.

 

Hartwig, äh, wer? So oder so ähnlich hießen bei einer Blitzumfrage des Informationsdienstes KUNST die meisten Museumsleute des Ruhrgebiets ihren neuen Kollegen willkommen. „Kenne ich nicht“, sagt Christoph Brockhaus vom Duisburger Lehmbruck Museum. „Bin noch nicht mit ihm in Kontakt gekommen“, erklärt Uwe Rüth vom Marler Skulpturenmuseum Glaskasten. „Was nichts heißen soll.“

„Es gibt so viele gute Leute, man muss nicht alle kennen“, reicht etwa Klaus Kiefer, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Essener Galerien, dem designierten Folkwang-Chef die Hand. Heinz Liesbrock, Leiter des Bottroper Josef Albers Museums, hofft, dass Fischer dem Museum wieder neue Impulse geben kann. „Es macht den Eindruck eines Hauses in Stagnation", sagt er, „bei dem die publikumswirksamen Großausstellungen der letzten Jahre überdecken, wie weit sich das Folkwang inzwischen von seiner großen Tradition entfernt hat: eine stringente Verbindung der klassischen Moderne mit der Kunst der Gegenwart und der jüngeren Vergangenheit.“

Peter Friese, Kurator des Kunstvereins Ruhr, ist einer der wenigen Angesprochenen, die mit einer Schau zur Skulptur des US-amerikanischen Malers Cy Twombly eine Ausstellung von Fischer gesehen haben. „Etwas langatmig und überfrachtet“, lautet sein Urteil. „Mich würde interessieren, welchen Stellenwert er in Essen der Gegenwartskunst gibt.“

Im Gespräch mit dem Informationsdienst KUNST mochte Fischer keine konkreten Pläne nennen. Seine der Findungskommission unterbreiteten Vorstellungen über die künftige Ausrichtung des Essener Museums, das sein Vorgänger Gaßner  in Abkehr zum reinen Malereimuseum und in Anlehnung an den Sammlungsgründer Karl Ernst Osthaus wieder in die Richtung einer „Welt in der Nußschale“ umstrukturierte, werde er erst nach internen Gesprächen der Öffentlichkeit mitteilen.

In offiziellen Verlautbarungen wird deutlich, dass von dem 42-jährigen gebürtigen Hamburger, der nach einem Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Archäologie über das „Gesamtkunstwerk im Wilhelminismus“ promovierte und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kunstmuseum Bonn sowie Direktionsassistent am Kunstmuseum Basel war, offenbar keine kontrovers diskutierten zeitgenössischen Ausstellungen erwartet werden. Vielmehr wurde „ein Museumsfachmann, der nicht nur Führungs- und Managementerfahrung mitbringt, sondern auch in der Zusammenarbeit mit privaten Förderern und Sammlern weitreichende Erfahrungen gesammelt hat“, gesucht und gefunden,  wie Henner Puppel, Vorsitzender des Museumsvereins, den Neuen lobt.


(Tankred Stachelhaus / Informationsdienst Kunst, Nr. 337, 19. Oktober 2005.)


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Das Ende einer Liebe

Museum Folkwang: Ein denkwürdiger Abschiedsabend für und mit Ex-Chef Hubertus Gaßner

Mario-Andreas von Lüttichau sparte nicht an Kritik: „Deine Seele baumelte irgendwo, nur nicht hier“, gab der Kurator seinem Ex-Chef vor dessen Abschiedsvortrag im Karl Ernst Osthaus-Saal mit auf den Weg. Es sei ein „Unding“, dass Hubertus Gaßner im Museum Folkwang angestellt gewesen sei, die vergangenen Monate aber in der Hamburger Kunsthalle mitgearbeitet hat. „40 Prozent warst du in Hamburg, 60 Prozent in Essen – oder auch mal umgekehrt.“ Das habe zu Schwierigkeiten im Team geführt. Ein Bedauern, gar eine Entschuldigung brachte der Gescholtene nicht über die Lippen. Nur: „Man hat mich in Hamburg kassiert mit unzähligen Terminen. Das war mir vorher nicht ganz klar.“


Stattdessen ließ der am Mittwochabend durch die Leselampe merkwürdig gespenstisch von unten angeleuchtete Historiker „seine Lieblingswerke“ des Museums für ihn sprechen. Unter dem Titel „Hackerts Hund und Stellas Schwarz“ interpretierte Gaßner die Gemälde wie gewohnt „elegant und intensiv“, wie Harald Goebell vom Kunstring Folkwang später lobte. Doch es war mehr als das: Über das Vehikel der Bilderläuterung arbeitete der Ex-Museumschef seine Essener Zeit auf – die Geschichte einer erkalteten Liebesbeziehung.

Das Gemälde von Philipp Hackert stand für nüchterndes wissenschaftliche Interesse am Museum; das von Caspar David Friedrich für eine Hinwendung zu seiner musealen Partnerin und der Einsicht, dass die Ideen des Sammlungsgründers Karl Ernst Osthaus wieder aufgegriffen und aktualisiert werden müssen; das von Auguste Renoir für das heitere, unbeschwerte Spiel mit den sich daraus ergebenden Möglichkeiten; das von Edvard Munch für ein Auseinanderleben, das von Joan Miró für die Angst, vereinnahmt zu werden; und das von Frank Stella für das Serielle, die Wiederholung, die „einem deutlich macht, dass man ausbrechen muss.“

„Ich wünsche dir, dass du zu Ruhe kommst“, hatte da schon vorher von Lüttichau gesagt. Und: „Wir werden aufgreifen und damit noch arbeiten, was du gemacht hast.“ Zum Abschied schenkte Goebell („Die Direktoren kommen und gehen, der Folkwang-Ring bleibt“) Gaßner noch ein Modell des Museums. Ob er seine „Ex“ bei der neuen Partnerin aufhängen wird? „Herr Fischer!“, rief der Neu-Hamburger seinem Nachfolger vom Podium aus zu. „Fühlen Sie sich nicht daran gebunden, was wir getan haben. Realisieren Sie ihre eigenen guten Ideen!“


(Tankred Stachelhaus / NEUE RUHR ZEITUNG (NRZ), 10. Februar 2006.)


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Behebung eines Notstands

Museum Folkwang: Neuer Direktor sucht den Anschluss an die Gegenwartskunst

Eins liegt den Essener Bürgern besonders am Herzen. Wird der neue Direktor des Museum Folkwang als erstes die von seinem Vorgänger farbig gestrichenen Wände wieder einweißen? Da lacht Hartwig Fischer kurz auf. „Offenbar will man daran ablesen, wie weit ich mich von Hubertus Gaßner unterscheide oder wie sehr ich mit ihm einverstanden bin.“ Diese Frage stellt sich in der Tat – und die Antwort umschifft der aus Basel kommende neue Chef des Museumsflagschiffs des Ruhrgebiets noch weiträumig. Im Interview mit der KUNSTZEITUNG wägt er jedes Wort sorgfältig ab. „Ich bitte um Verständnis für meine Zurückhaltung“, sagt er mit Verweis auf noch ausstehende Entscheidungen.


Der 43-jährige promovierte Kunsthistoriker betritt die Essener Bühne in Zeiten des Umbruchs. Das Ruhrlandmuseum verlässt den gemeinsam genutzten Neubautrakt, um im nächsten Jahr als „Ruhrmuseum“ auf Zeche Zollverein Widerauferstehung zu feiern. Doch die Ausstellungsräume können nicht übernommen werden: Brandschutzauflagen machen ab 2007 einen umfassenden Umbau oder gar einen Neubau nötig. Eine im April vorliegende Machbarkeitsstudie soll den Weg weisen. So oder so wird das Museum wahrscheinlich seine Fläche erheblich vergrößern – „womit zunächst einmal ein wirklicher Notstand behoben wird“, wie Fischer sagt. Und was dem Museum ermöglicht, die bedeutende Gemälde- und Skulpturensammlung des 19. Jahrhunderts, der klassischen Moderne und der Kunst nach 1945 sowie die umfangreichen grafischen, fotografischen und kunsthandwerklichen Sammlungen angemessen zu präsentieren. Das Konzept heißt dann, aus dem Vollen zu schöpfen: „Wir werden im großen Stil nach 2010 eine fantastische Ausstellung nach der anderen aus unseren Sammlungsbeständen zusammenstellen“, kündigt Fischer an. Bis der „alte“ Neubau schließt, soll es einige Kostproben geben, „damit man sieht, welche Schätze in den Depots lagern.“

Doch was kommt hinzu? Mit viel gelobten Blockbustern der Klassischen Moderne (zuletzt Cezanne) lockt das Museum Folkwang die Massen an. Im Bereich der zeitgenössischen Kunst aber hat die immer mehr als „Louvré des Ruhrgebiets“ belächelte Essener Institution indes ihre einstige herausragende Stellung verloren. „Das Erbe des Sammlungsgründers Karl Ernst Osthaus strahlt in die Zukunft und verpflichtet“, sagt Fischer. „Wir müssen uns um den Anschluss der Sammlung an die zeitgenössische Kunst kümmern, weil das Museum sonst verkümmert.“ Dazu soll auch eine weitere Kooperation mit dem allerdings auch von anderen Museen umworbenen Essener Sammler Thomas Olbricht beitragen. Fischer: „Es ist mir wichtig, dass die kreative und intellektuelle Energie, die sich in seiner Sammlung manifestiert, für Essen erhalten bleibt.“

Was die farbigen Wände in der ständigen Sammlung betrifft: Die meisten werden für die kommende Caspar David Friedrich-Ausstellung ohnehin überstrichen.

(Tankred Stachelhaus / KUNSTJAHR 2006). 


Foto: Die Hängepartie um den Neubau des Neubaus  geht auch mit dem neuen Direktor Hartwig Fischer weiter. Die Aufnahme entstand im alten Foyer.


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Am Scheideweg

In Essen wird um die Zukunft des Museum Folkwang gerungen

„Ihn als Zweckbau zu bezeichnen, ist noch das Beste, was man von ihm sagen kann“, frotzelte zur Eröffnung des Neubaus die Neue Ruhr Zeitung (NRZ). Das Museum Folkwang leidet am Ergebnis eines vermurksten Architekturwettbewerbs, an dessen Ende zwei Büros ihre Entwürfe miteinander harmonisieren mussten. Der 1983 dem schnörkellosen Altbau angegliederte, modernistische Klotz spiegelt nicht nur architektonisch, sondern auch in punkto Größe und Ausstattung kaum die Bedeutung des Museumsflagschiffs des Ruhrgebietes wider. Insofern hielt sich die Enttäuschung in Grenzen, als der RW TÜV deutliche Mängel beim Brandschutz feststellte. Dies ebnete den Weg für eine radikale Lösung. Doch der erhoffte Neubau des Neubaus steht auf der Kippe und in drei Jahren dem Besucher der Kulturhauptstadt Europas 2010 womöglich nur der kleine, bereits Ende der 1990er-Jahre sanierte Altbau weiterhin offen.


Am 30. Juni 2007 läuft endgültig die Duldungsfrist für den Betrieb des Gebäudes aus. Die Räume teilt man sich noch mit dem Ruhrlandmuseum, das als „Ruhrmuseum“ auf Zeche Zollverein zieht. In der technischen Machbarkeitsstudie werden drei Varianten vorgerechnet. Ein kompletter Abriss und Neubau würde etwa 53 Millionen Euro kosten („Variante 2“), ein Umbau unter Einbeziehung der Räume des Ruhrlandmuseums mit 46 Millionen Euro zu buche schlagen („Variante 1“) und eine Sanierung nur der Folkwang-Flächen immerhin noch rund 15 bis 20 Millionen Euro benötigen („Variante 0“).

„Das Museum steht am Scheideweg“, sagt Direktor Hartwig Fischer. Der maßgeblich von der Essener Wirtschaft getragene Museumsverein, dem zur Hälfte die Kunstsammlung gehört, favorisiert einen Neubau; nur dafür ließen sich Sponsorengelder einwerben. Die Stadt indes weigert sich nach Investitionen in kulturelle Großprojekte (Zollverein, Philharmonie, Volkshochschule, Lichtburg), finanziell mehr zu leisten, als „unabweisbar notwenig“ für die Wiederherstellung des Betriebes ist.

Während der Museumsverein die in der Machbarkeitsstudie genannten 15 bis 20 Millionen Euro als städtischen Anteil für einen Neubau versteht, lässt die Stadtspitze derzeit in einer „vertieften Prüfung“ eigene Berechnungen zu den Sanierungskosten anstellen - durchaus mit der offen gelassenen Option, auf einen Neubau zu verzichten. Kenner der Essener politischen Landschaft rechnen damit, dass dabei die „0“-Summe tatsächlich so nah wie möglich an die Null herangeführt wird, auf ein „inakzeptables Minimum“, wie dem Museumsverein schwant.

Alter Eingang FolkwangIn einem dem Informationsdienst KUNST vorliegenden Brief an Oberbürgermeister Wolfgang Reiniger erinnern der Vorsitzende, Henner Puppel (Vorstandssprecher National-Bank), und sein Stellvertreter, Achim Middelschulte (Kulturbeauftragter E.ON-Ruhrgas), an den „Folkwang-Vertrag“ von 1922. In diesem habe sich die Stadt verpflichtet, „geeignete und würdige Räume“ zur Verfügung zu stellen und gemeinsam mit dem Museumsverein nach Kräften für die Weiterentwicklung des Museums zu sorgen. „Jedoch scheinen der Rat und die Ausschüsse den Umfang der Verpflichtung, die sich aus dem Vertrag ergeben, völlig verkannt zu haben.“

Nach ihrer Ansicht müsse die Stadt zusätzlich zum Brandschutz auch den Betrag übernehmen, den eine Klimatisierung nach heute gültigen internationalen Museumsstandards kostet. Der alte Neubau erfülle mit seinen Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen schließlich nicht einmal die Bedingungen, die man selbst als Leihgeber zum Schutz der Bilder vertraglich von anderen Museen verlange. „Ändert sich diese Situation nicht grundlegend, wird die Kooperation mit bedeutenden Sponsoren nicht fortgesetzt werden können, und es werden dort künftig keine großen Ausstellungen mehr stattfinden“, warnen die Vorsitzenden.

„Die städtische Seite muss ihren Teil der Verantwortung übernehmen, nur dann lässt sich auch die Unterstützung der Wirtschaft gewinnen“, fasst Hartwig Fischer die Stimmung im Museumsverein zusammen. Er rät zur Besonnenheit: „Die Stadt prüft ihren Anteil, das ist bei so einer wichtigen Entscheidung ganz normal, notwendig und wichtig.“ Spätestens im September will die städtische Arbeitsgruppe das Ergebnis vorliegen. Zeitnah wird seinerseits auch der Museumsverein mehrere aus eigenen Mitteln (400.000 Euro) bezahlte Architekturstudien für die Neubau-Variante vorlegen. Die Vergabe solcher Studien hatte die Stadt zuvor auf Eis gelegt. Fast beschwörend sagt Fischer angesichts der drängenden Zeit: „Es geht darum, im Interesse der Stadt und der gesamten Region die Chancen für 2010 zu bewahren.“ Alles andere wäre laut der beiden Vorsitzenden des Museumsvereins „eine kaum zu überbietende Blamage“.


 

Auszüge aus dem Vertrag zwischen der Stadt Essen und dem Museumsverein vom 29. Mai 1922

 „Die Stadt erwirbt das Museum zwar auf ihren Namen, jedoch zugleich als Beauftragte des Vereins. Sie erkennt an, dass sie als Treuhänderin zugleich für den Verein das Eigentum ausübt und dass im inneren Vertragsverhältnis der Verein zur Hälfte als Miteigentümer an dem Museum beteiligt ist. (…) Die Stadt Essen verpflichtet sich, geeignete und würdige Räume für die Ausstellung der Sammlung zur Verfügung zu stellen. (…) Die Unterhaltung der Museumsräume ist Sache der Stadt Essen. Stadt und Verein werden gemeinsam nach Kräften für die Weiterentwicklung des Museums sorgen (…)“

(Tankred Stachelhaus / Informationsdienst KUNST, Nr. 358, 17. August 2006)


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Dankbare Vaterstadt

Das Denkmal wurde kürzlich nur um ein paar Meter versetzt. Aber nun steht die Bronzefigur von Alfred Krupp (1812-1887) wieder an dem zentralen Platz, den sie 1945 räumen musste als es nicht mehr opportun war, sich in Essen überdeutlich zu Krupp zu bekennen. Es war eine kleine, aber wichtige Geste der Stadt, die jetzt sensationell beantwortet wurde: Die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung bringt als alleinige Förderin die auf 55 Millionen Euro geschätzten Mittel für den Neubau des maroden „alten“ Neubaus des Museum Folkwang auf.

Die immens großzügige Spende setzt dem - vom 92-jährigen Stiftungsvorsitzenden Berthold Beitz als störend empfundenen - „politischen Gerede“ um die Zukunft des Museums ein Ende. Sie ist ein Ausdruck der besonderen Beziehung zwischen der Stadt und der Krupp-Stiftung, die nicht nur als Erbin das Vermögen des Familienunternehmens zur Förderung von Wissenschaft und Kultur einsetzt, sondern sich auch in der Verantwortung für die mit Krupp gewachsene Stadt an der Ruhr sieht. Fast die Hälfte des gesamten Förderaufkommens unterstützte in den vergangenen drei Jahrzehnten Projekte in Essen und der näheren Umgebung. Das neueste Geschenk profiliert aber auch die Krupp-Stiftung gegenüber der ThyssenKrupp AG, an der sie zu 20,6 Prozent beteiligt ist. Das Unternehmen hatte Anfang des Jahres mit seiner Entscheidung, die Konzernzentrale von Düsseldorf nach Essen zu verlegen und dafür einen Betrag in dreistelliger Millionenhöhe in der Stadt zu investieren, für Schlagzeilen wie „Krupp kommt nach Hause“ gesorgt.

Nein, Krupp war und ist nie weg – diese Botschaft wird mit dem Neubau des Museum Folkwang in Beton gegossen. Essen ist im Glück und die Inschrift auf dem Alfred Krupp-Denkmal von 1887 aktueller denn je: „Die dankbare Vaterstadt“.

(Tankred Stachelhaus / Informationsdienst KUNST, Nr. 359, 31. August 2006)


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Nobler Entwurf

Stadt Essen präsentiert die Sieger des Wettbewerbs für den Neubau des Folkwang-Museums

„Der Weg ist frei um durchzustarten“, freut sich Oberbürgermeister Wolfgang Reiniger. Gestern präsentierte die Stadt Essen die Sieger des Architekturwettbewerbs für den Neubau des Museums Folkwang. Den ersten Preis heimste der Londoner Star-Architekt David Chipperfield ein. Dieser überzeugte mit einem noblen, aus Rechtecken entwickelten und mit Innenhöfen versehenden Entwurf, der nach den Worten des Jury- Vorsitzenden Eckhard Gerber „in harmonischer Wechselbeziehung zum Altbau steht“. Der zweite Preis ging an den jungen Shooting-Star der Londoner Architekturszene David Adjaye und sein verspieltes Ensemble aus Kuben.


Als Hartwig Fischer vor einem Jahr den Chefsessel des Folkwang-Museums übernahm, manövrierte das Museumsflagschiff des Ruhrgebietes in unsicheren Gewässern. Denn der erst 1983 neben dem Altbau errichtete Haupttrakt für die Wechselausstellungen entspricht nicht mehr den Brandschutzbestimmungen. Im kommenden Sommer verstreicht die Duldungsfrist. Erst Berthold Beitz, Kuratoriumsvorsitzender der Krupp- Stiftung, beendete die zuweilen hysterisch geführte lokalpolitische Debatte um die Zukunft des Museums angesichts leerer Kassen. Beitz kündigte an, dass seine Stiftung als alleinige Förderin den auf 55 Millionen Euro geschätzten Neubau des Museum Folkwang stemmen wird. Nun soll beiden ersten Preisträgern die Möglichkeit gegeben werden, ihre Entwürfe „im Hinblick auf die finanzielle Machbarkeit zu überarbeiten“, wie Beitz erklärt. Die Krupp-Stiftung behält sich vor, den Architekten Anfang März auszuwählen. Doch es gilt als wahrscheinlich, dass sich Chipperfield auch auf der Zielgeraden durchsetzen wird: Seine architektonische Nähe zu dem von Beitz geschätzten Ludwig Mies van der Rohe, das Votum der Jury und die niedrigeren Kosten seines Entwurfs sprechen dafür.

„David Chipperfield hat die Grundlage dafür gelegt, dass das Museum ein Ort der Gastfreundschaft, der Diskussion und der Bildung sein wird“, sagt Direktor Fischer. Während des Umbaus wird eine Auswahl von Werken aus der Sammlung in der Villa Hügel gezeigt. Der Folkwang-Neubau, der auch das Deutsche Plakat Museum aufnimmt, soll im Kulturhauptstadtjahr 2010 seine Eröffnung feiern.  


(Tankred Stachelhaus /  WELT kompakt, 15. Februar 2007)


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Keine architektonische Luftnummer

Die Siegerentwürfe fürs Museum Folkwang zeugen von Pragmatismus

So manch einer träumte in Essen von einem „Bilbao im Ruhrgebiet“. Doch das Rennen machte weder die futuristische Mondbasis von Zaha Hadid Architects, noch ein nirgends aneckender, weil überall abgerundeter Bau des Architektenbüros SANAA. Stattdessen siegten beim Architekturwettbewerb für das Museum Folkwang zwei Londoner Architekten, die mit ihren Entwürfen den Altbau harmonisch ergänzen wollen. Der erste Platz ging an David Chipperfield, der zweite an seinen ehemaligen Mitarbeiter, den smarten Shooting-Star der Londoner Architekturszene David Adjaye.


4500 Quadratmeter Ausstellungsfläche soll der Neubau umfassen: Vorgesehen sind 2000 für die Sammlungserweiterung, 1500 für Wechsel-Ausstellungen, 400 für das angeschlossene Plakatmuseum, 400 für die Fotografische Sammlung und 200 Quadratmeter für die Grafische Sammlung. Die Sieger setzen die Vorgabe architektonisch recht ähnlich um. Während der auch auf der Berliner Museumsinsel tätige Chipperfield ein großes gläsernes Foyer zwischen zwei schlichte Baukörper setzte, entwickelte Adjaye ein kleinteiliges Ensemble aus Kuben. Beide Entwürfe verlegen den Haupteingang weg von der beschaulichen Wohnstraße an der Hinterseite des Museums hin zur viel befahrenen Bundesstraße B224 -  ein planerisches Ausrufezeichen. Das Museum soll verstärkt ins öffentliche Bewusstsein rücken.

Jury-Vorsitzender Eckhard Gerber lobte bei beiden Preisträgern die vielfältigen Blickbeziehungen zum Altbau, die gelungene Wegeführung und die durchdachten technischen Lösungen. Die Einschätzung wird von Fachleuten geteilt. „Das wird keine architektonische Luftnummer, sondern eine anständige Gebrauchsarchitektur“, urteilt etwa Werner Ruhnau, Architekt des wegweisenden Gelsenkirchener Musiktheaters. Die in Essen lebende Bilderstreiterin Ursula Bode hebt hervor, dass Chipperfield mit einem noblen Entwurf bei ihr punktete. „Gerade, weil er keinen Kontrapunkt zur eher grauen Umgebung des Museums setzt, sondern die Vorzüge des schlichten und funktionalen Altbaus sinnvoll aufgreift, wird ein in sich lebendiger, klar gegliederter Architekturkomplex entstehen.“ Museumsdirektor Hartwig Fischer freut sich, dass der Siegerentwurf die Grundlage für einen „Ort der Gastfreundschaft, der Diskussion, der lebendigen Bildung und des gesellschaftlichen Geschehens“ geschaffen hat.

Dass die Alfred Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung als alleinige Förderin den Neubau bezahlt, darf anscheinend nicht als Freibrief für ein Wolkenkuckucksmuseum verstanden werden. 55 Millionen darf der Neubau kosten – eine Hürde, die offenbar von beiden Architekten gerissen wird. „Mir ist es wichtig, dass den beiden ersten Preisträgern die Möglichkeit gegeben wird, ihre Entwürfe im Hinblick auf die finanzielle Machbarkeit zu überarbeiten“, wird Kuratoriumsvorsitzender Berthold Beitz in einer Mitteilung zitiert. Die Krupp-Stiftung behält sich vor, abschließend im März den Architekten auszuwählen. Erwartet wird, dass sich Chipperfield auch auf der Zielgeraden durchsetzt.


(Tankred Stachelhaus / Informationsdienst KUNST, Nr. 371, 22. Feburar 2007)


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Mehr Ordnung ins optische Chaos bringen

Architekt und Wettbewerbs-Sieger David Chipperfield sieht in Bau-Kosten kein Problem.

David ChipperfieldErster Platz heißt erster Platz. Oder?  David  Chipperfield kann sich nur wundern. Wundern darüber, dass er als Sieger des  Architekturwettbewerbs für das Museum Folkwang noch einmal mit einem überarbeiteten Entwurf vor eine Jury treten muss. "Das ist unüblich", sagt er im Gespräch mit der NRZ. "Ich habe doch schon den ersten Platz erreicht!" Wie berichtet, soll auch dem zweiten Preisträger, David Adjaye, die Möglichkeit gegeben werden nachzubessem - vor allem in finanzieller Hinsicht


Ob dieser die Offerte annimmt, ist bislang offen. Adjaye, so heißt es in seinem Londoner Büro, sei mehrere Wochen verreist und nicht zu sprechen. Derweil setzt Chipperfield Pflöcke: Um zehn Prozent übersteige er das Budget, aber es sei kein Thema, den Entwurf zu beschneiden. "Zehn Prozent sind für einen Architekten generell kein Problem."

David Chipperfleld, geboren 1953 in London und einst Mitarbeiter von Sir Norman Foster, gehörte zu jenen Architekten, die sich im offenen Bewerbungsverfahren durchsetzten. Von Oktober bis Januar arbeitete sein Büro an dem Entwurf, "auch über Weihnachten", wie er stöhnt. Sein größtes Problem war für ihn das "optische Chaos" rund um das Museum. Die "große Chance" sei aber neben der hochkarätigen Sammlung der Altbau von 1960: natürlich, einfach, "ein starkes Gebäude". 

Bei seinem Besuch in Essen spürte er bei dem Blick auf die Gemälde durch die große Fensterflächen an der Kahrstraße den "spirit" - und an den wollte der Architekt anknüpfen: "Das Museum muss so öffentlich wie möglich werden." Im Gegensatz zum "alten" Neubau sind bei ihm die Ausstellungsräume im Erdgeschoss, "dem öffentlichsten aller Geschosse" zu finden. Große Bedeutung misst Chipperfield der  Zugänglichkeit des Museums bei. Es soll die Besucher und Bewohner "freundlich einladen und empfangen" und als "vitaler Part der Stadt" in direkter Beziehung zur Umgebung stehen. Deshalb auch habe er den Haupteingang  von der beschaulichen Wohnstraße zur Hauptverkehrsstraße verlegt.  

Bewusst komme sein Entwurf nicht so spektakulär wie die Museumsbauten von Frank 0. Gehry in Herford oder Bilbao daher. "Ich wollte sicherstellen, dass es kein touristisches Gebäude für Besucher von Sehenswürdigkeiten wird, die nie wiederkommen. Das Wichtigste sind die Ausstellungen."


(Tankred Stachelhaus /  NEUE RUHR ZEITUNG (NRZ), 24. Februar 2007)


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Integrative Kraft

Essen: Das neue Museum Folkwang ist ein Volltreffer

Eine viel befahrene Straße, öde Reihenhauszeilen, lieblos hochgezogene Gewerbebauten, aber auch eine schöne Gründerzeitvilla, eine historische Büroanlage und ein kleiner Park: Das „visuelle Chaos“ am Baugrund war für Architekt David Chipperfield das größte Problem. Und jetzt, wo der Neubau steht, muss man voller Bewunderung sagen: Es war nicht das Problem, sondern der Schlüssel. Das neue Museum Folkwang vermag mit höchst integrativer Kraft die Vielfalt einzubinden.


Hell, licht und einladend ist das Museum geworden. Mit dem Eingangshof wendet sich die Institution zur Stadt hin. Während früher der Haupteingang in einer Nebenstraße lag, von wo aus man in einem zugestellten Foyer landete, geht man nun von der großen Bismarckstraße aus über eine große Freitreppe ins Museum. Und hier kann man sich in der Kunst verlieren, ohne orientierungslos herumzuirren.

Hinter der grün-weiß changierenden Fassade hat Chipperfield ebenerdig Raum für die fotografische und fotografische Sammlung, für das angeschlossene Deutsche Plakatmuseum und die ständige Sammlung zeitgenössischer Malerei und Skulptur geschaffen. Auf 1.390 Quadratmeter bringt es die Halle für Wechselausstellungen. Lange wurde an dem Lichtkonzept gearbeitet. Die nach Norden hin ausgerichtete Shetdach-Konstruktion macht das Museum zu einem Tageslicht-Museum. Bei Bedarf können die Räume aber auch verdunkelt oder künstlich beleuchtet werden. Raumhohe, an einem Schienensystem befestigte Stellwände, lassen sich aus einer Wand ziehen und beliebig im Raum platzieren.

Den in nur innerhalb von zweieinhalb Jahren errichteten Neubau des Museum Folkwang hat die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung mit 55 Millionen Euro im Alleingang finanziert. Er ersetzt einen modernistischen, ungeliebten, stark sanierungsbedürftigen und jetzt abgerissenen Klotz aus dem Jahre 1983. Beim Wettbewerb setzte sich Chipperfield gegen namhafte Mitbewerber wie Zaha Hadid durch.

Der britische Star-Architekt hat sich den Geist von Karl Ernst Osthaus zu Herzen genommen. Der Gründer des weltweit ersten Museums für zeitgenössische Kunst schrieb einmal: „Sinn und Zweck unserer Anstalt ist nicht, die Menschen vor Entwicklungen zu schützen.“ Der an die sachliche Architektur des Altbaus anknüpfende Neubau gewährt nicht nur durch große Glasflächen einen Blick in die Ausstellungsräume, sondern bezieht gezielt das Umfeld mit ins Innere ein. Präzise positioniert Chipperfield einen der vier Innenhöfe als Verlängerung einer schmalen Grünzone. Jedes Fenster seziert eine ganz andere Facette des städtischen Umfeldes. Die in Beton gegossene lapidare, aber gern vergessener Botschaft: Das Museum filtert, bewahrt und vermittelt aus dem Leben entsprungene Kunst.


(Tankred Stachelhaus / KUNSTZEITUNG, Nr. 162, Februar 2010)


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Pulsierende Kraftzentrale

Der Neubau des Museum Folkwang steht vor der Eröffnung

Am 23. August 2006 weilte Hartwig Fischer in London, als Berthold Beitz ihn anrief. Kurz und knapp sagte der Vorsitzende der Krupp-Stiftung dem Direktor des Museum Folkwang: „Es könnte für Sie von Interesse sein, wenn Sie sich morgen bei mir im Büro einfinden.“ Rund dreieinhalb Jahre später, am 30. Januar, wird der Neubau-Komplex am neu getauften Museumsplatz für Besucher geöffnet. Essen hat wieder das „schönste Museum der Welt“ – wie die erste reguläre Schau einen Kritiker aus den 30er-Jahren per Ausstellungstitel zitiert.


Wer auch immer sich einen spektakulären Museumsneubau à la Frank O. Gerry wünschte und sich einen „Bilboa-Effekt“ für Essen erhoffte, wird hier wieder zu dem geführt, was das Museum ausmacht: der Kunst. Vielleicht musste jemand von außen kommen, um die großartige Sammlung in den Mittelpunkt zu rücken. Hell, licht und einladend hat der britische Architekt David Chipperfield das Museum konzipiert. Die Institution wendet sich zur Stadt hin mit der Verlegung des Haupteinganges von der beschaulichen Goethestraße zur viel befahrenen Bismarckstraße. Nun hat das Museum auch alles, was von einer modernen Ausstellungsinstitution erwartet wird: Buchladen, Seminarräume, Restaurant, Bibliothek, große Depots, Tiefgarage und einen gesonderten Eingang für Gruppen samt Garderobe.

Mit seiner grün-weiß changierenden Fassade erscheint das Museum von außen wie eine pulsierende Kraftzentrale, gespeist vom urbanen Leben des Umfeldes, dessen verschiedene Facetten gezielt durch Seitenfenster ausschnitthaft in die Ausstellungsräume geleitet werden. Anknüpfend an die Architektur des Altbaus bilden Korridore und Innenhöfe die Sichtachsen. Ein Innenhof wurde präzise als Verlängerung einer schmalen Grünachse der Wohnbebauung positioniert. Museum und Umfeld verschmelzen an solchen Stellen regelrecht.

Chipperfield lässt die Räume atmen und von Tageslicht durchfluten – was so ziemlich einmalig in der Welt sein dürfte. Lange hat man an dem Lichtkonzept mit dem nach Norden ausgerichteten Shetdach gearbeitet. Während anderswo die totale Kontrolle über die Beleuchtung behalten wird, lässt man sich hier auf das Experiment ein, die Sonne die Atmosphäre in den Räumen bestimmen zu lassen. Von Stunde zu Stunde werden die ausgestellten Werke anders aussehen und wirken. Lediglich die Räume für das Deutsche Plakatmuseum sowie die grafische und fotografische Sammlung sind vom Kunstlicht abhängig. Alles liegt auf einer Ebene. Und hier kann man sich in der Kunst verlieren ohne orientierungslos herumzuirren.

Chipperfield sagt im berechtigten Selbstbewusstsein, dass der Abriss des „alten“ Neubaus eine Warnung an die Architektur sein kann, „dass sie falsch sein kann.“ Der modernistische Klotz aus dem Jahr 1983 war das Ergebnis eines vermurksten Architekturwettbewerbs, an dessen Ende zwei Büros ihre Entwürfe miteinander harmonisieren mussten. Er spiegelte nicht nur architektonisch, sondern auch in punkto Größe und Ausstattung kaum die Bedeutung des Museumsflagschiffs des Ruhrgebiets wider. Zuletzt machten Brandschutzauflagen einen Weiterbetrieb unmöglich. „Man muss ein Museum wirklich hassen, wenn man es nach 23 Jahren wieder zerstört“, sagt Chipperfield.


(Tankred Stachelhaus / Werdener Nachrichten, 29. Januar 2010)


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