Tankred Stachelhaus

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KRITIK

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Torhaus

DOSSIER: Margarethenhöhe


VORHANG AUF FÜR ARCHITEKTUR: RAINER METZENDORF ÜBER GEORG METZENDORF
GROSSVATERS GARTENSTADT: RUNDGANG ÜBER DIE MARGARETHENHÖHE I (NRZ / 2002)

...und weil's so schön war, vier Jahre später, zum 100. Geburtstag der Siedlung, das Ganze nochmal:

KRUPPS MUSTERSTADT LEBT: RUNDGANG ÜBER DIE MARGARETHENHÖHE II (WamS / 2006)


Vorhang auf für Architektur

Rainer Metzendorf über Georg Metzendorf

Streng, entschlossen und verhärmt schaut er auf dem Foto in der Ausstellung „Visionen in Stein“ aus; ein Bild, welches sein Enkel als erstes revidiert: „Er war lebensfroh“, sagt Rainer Metzendorf und legt ein Foto auf den Overhead-Projektor, welches einen entspannten Georg Metzendorf zeigt, der mit einem verspielten Lächeln wagemutig in die Kamera blickt.  So mussten die Arbeiter den Erbauer der Gartenvorstadt Margarethenhöhe kennengelernt haben. In der Lindengalerie referierte Rainer Metzendorf über das Leben und Werk von Georg Metzendorf.

Als Rainer Metzendorf selbst in München Architektur studierte, weckte sein Professor, der von den herausragenden Arbeiten Georg Metzendorfs, dessen Häuser „von Berechtsgarten bis Berlin unter Denkmalschutz stehen“, schwärmte, das Interesse. Mit dem ersten Zug ging’s nach Essen – sozusagen. „Hier lernte ich innerhalb von wenigen Tagen mehr über Proportionen als während des gesamten Studiums“, erklärt Metzendorf junior. Der 59-Jährige arbeitet heute selbst als Stadtplaner und Architekt bei der Stadt Mainz. Mit zwei Büchern würdigt er das Werk seines Großvaters.

Ein Großvater indes, den er nie persönlich kennengelernt hat. 1934 starb der Architekt, Stadtplaner, Designer und Konstrukteur, der 1908 über Nacht mit dem „Haus des Industriearbeiters“ bekannt wurde, ein sensationell preiswertes und proportional ausgewogenes Gebäude, welches erstmals den Bedürfnissen der Bewohner als Menschen Rechnung trug. Jedes Haus verfügte über ein WC und eine Badewanne. Soviel „Luxus“ hatte noch nicht einmal der Deutsche Kaiser in seiner Potsdamer Residenz. Als die „Margarethe-Krupp-Stiftung für Wohnungsfürsorge“ nach einem jungen Reformarchitekten suchte, der in Essen eine ganze Stadt für Industriearbeiter aus dem Boden zu stampfen vermochte, ließ Georg Metzendorf – übrigens ein Autodidakt – sich nicht lange bitten.

Aber mein Großvater baute nicht nur für arme Leute“, sagt Rainer Metzendorf. Die Entwürfe von Villen und Geschäftshäusern besserten das schmale Salär des städtischen Beamten auf. Federführend zeichnete Metzendorf für die Theaterpassage (früher Städtische Sparkasse), Anson’s (früher Einrichtungshaus Eik) und weitere, inzwischen abgerissenere oder vom Krieg zerstörte Gebäude wie das Wohnhaus Goldschmidt oder das Schauspielhaus mit vorgelagerter Stadtbibibliothek an der Hindenburgstraße. Atemberaubend schnell zog der detailversessene Perfektionist die Gebäude in die Höhe. Zudem entwarf er in Skizzen seine Vision einer modernen Stadt: So sollten links und rechts von Anson’s Turmbauten ein Portal bilden. Dass er sich auf steinernde Inszenierungen verstand, zeigt sich an der Bauausführung bei der Städtischen Sparkasse. Erst als der Bau fertig war, ließ Metzendorf die Fassade des Vorgängerbaus einreißen. Vorhang auf für Architektur. 


NRZ / Tankred Stachelhaus, 20.8. 2001


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Großvaters Gartenstadt

Rainer Metzendorf gilt als Experte für Leben und Werk des Erbauers der Margarethenhöhe - ein Rundgang.
Waldlehne

Als Architekt den Namen eines berühmten Architekten zu tragen, kann eine schwere Bürde sein. "Es ist eine Verpflichtung", sagt Rainer Metzendorf, der sich aus dem Schatten seines Großvaters löste - indem er sich zum anerkannten Experten für dessen Schaffen entwickelte.

Als junger Architekturstudent hörte er seinen Professor von Georg Metzendorf schwärmen, und so wandelten sich beiläufig aufgenommene Familienanekdoten zu spannendem wissenschaftlichen Material. Rainer Metzendorf promovierte über Georg Metzendorf, schrieb über ihn mehrere Bücher und ordnet bei Vorträgen das Werk in die Architekturgeschichte ein - zuletzt im Rahmen der Reihe "Essen erlebt Architektur".

Mit unbändiger Neugierde spürte der heute 60-jährige Enkel seinem Großvater nach. "Ich habe von ihm sehr viel über Architektur und Stadtplanung gelernt", sagt Metzendorf - obwohl er ihn zu Lebzeiten nie kennengelernt hat. Als eines der Meisterstücke des Großvaters gilt die Margarethenhöhe

Rainer Metzendorf bewahrt sich eine Distanz zum Erbauer der Gartenstadt. Mal spricht er voller Bewunderung von den ausgeklügelten Proportionen und Sichtachsen am Laubenweg, mal beschmunzelt er den Zuckerbäckerstil an der Winkelstraße/Ecke Steile Straße. "Das hat mein Großvater mehr für den Volksgeschmack gebaut." Georg Metzendorf soll selbst zugegeben haben, es manchmal mit "Rothenburg ob der Ruhr" übertrieben zu haben. "Die Verspieltheit war", erklärt sein Enkel, "wohl eine Gegenreaktion zu den damaligen trostlosen Mietskasernen."

Impression Moltkeviertel

Der Vorstand der "Margarethe-Krupp-Stiftung für Wohnungsvorsorge" wählte 1908 den damals 33-jährigen Architekten nach einem reichsweiten Ausleseverfahren nicht trotz, sondern wegen seiner Jugend: Die Margarethenhöhe sollte für Georg Metzendorf eine Lebensaufgabe werden. Der Bensheimer Autodidakt gehörte zu einem Kreis junger Reformarchitekten, die um 1900 in Darmstadt nach "sozialhumanen Lösungen in Architektur und Städtebau" suchten, wie Rainer Metzendorf in einem mit dem Sozialwissenschaftler Achim Mikuscheit geschriebenen Führer "Margethenhöhe - Experiment und Leitbild" darstellt. Als Architekt, Stadtplaner und Designer habe sein Großvater nach ganzheitlichen Lösungen gesucht - und sich sogar als Ingenieur versucht. Rainer Metzendorf gerät ins Schwärmen, als er die Vorzüge der kombinierten Heizungs- und Kochanlage beschreibt, die im Sommer sogar für Kühlung sorgte.

Georg Metzendorf vermochte als Integrationsfigur die Stilvielfalt der 1909 bis 1934/38 in 29 Bauabschnitten errichteten Siedlung in einen architektonischen, künstlerischen, technischen und sozialen Gesamtzusammenhang zu stellen. Der Planer der Margarethenhöhe hatte weitgehend freie Hand, war befreit von Bauverordnungen - ein Umstand, bei dessen Schilderung Rainer Metzendorf ein wenig resigniert ausschaut. Als Architekt und Stadtplaner der Stadt Mainz kämpft sich der 60-jährige selbst bei kleinen Projekten durch Bebauungspläne und Anhörungen. "Ich kann nur mit Neid auf den Geist schauen, mit dem man damals ein solches Bauvorhaben realisiert hat."

GasthausAm Kleinen Markt lobt Rainer Metzendorf von Architekt zu Architekt: "Das ist meinem Großvater gut gelungen." Geschickt habe dieser die Hanglage ausgenutzt, um den Durchgangs- und Anliegerverkehr vom Platz fernzuhalten. Städtebaulich sei der rechteckige Platz ein bewusst eingesetzter Kontrapunkt zu der verwinkelten oder geschwungenen Gestaltung der Wohnstraßen. Der Kleine Markt ist laut Metzendorf eine "steinernde Inszenierung mit Anleihen an eine Agora" - dem griechischen Marktplatz samt Theaterbühne.

Die mächtige Kulisse bildet das alle Gebäude überragende Konsumgebäude an der Stirnseite des Platzes. "Irgendwie ist das Haus ein Fremdkörper", bemerkt Metzendorf. Im Zusammenspiel mit der geplanten, aber nie gebauten Kirche an der Ecke Steile Straße/Laubenweg hätte sich aber nach seiner Ansicht die Macht demonstrierende Wirkung des von den Kruppschen Konsumanstalten als Bauherr realisierten Gebäudes wieder relativiert. Dem Erbauer der Margarethenhöhe stand nicht der Sinn nach einschüchternden Monumentalbauten.

GoldgräberbrunnenSein architektonisches Herz schlägt gleich gegenüber: das unlängst sanierte Gasthaus mit seiner anmutigen Arkardengalerie. Rainer Metzendorf strahlt: "Mein Großvater war ein lebensfroher Mensch und versuchte, diese Heiterkeit gestalterisch umzusetzen." Keck blickt die Brunnenfigur auf das verspielte Gebäude und kehrt der Konsumanstalt den Rücken zu.

Unterwegs zum Laubenweg zeigt er nach links und rechts. "Großvater verzichtete zugunsten eines klaren Straßenraumes meist auf Vorgärten." Stattdessen steht zwischen den quadratischen Häusern jeweils ein Baum. "Das Grün war exakt geplant", sagt Metzendorf, um sogleich zu tadeln: "Wäre schön, wenn der Schnitt heute besser gepflegt werden würde."

Den Perfektionismus erbte Rainer Metzendorf von seinem Großvater. Georg Metzendorf legte äußersten Wert auf solide Ausführung bis in die Details. Dass er dafür sogar Handwerker aus Süddeutschland anreisen ließ, nahmen ihm die örtlichen Zünfte krumm. Was passierte, wenn Metzendorf nicht die Oberaufsicht führte, zeigte sich im Ersten Weltkrieg. Während Metzendorf als Staabsoffizier Brücken baute, bauten die hiesigen Handwerker immer wieder Murks - meint zumindest sein Enkel vor der Hausnummer 28/30 am Laubenweg: "Die weißen Raster an der Fassade wirken aufgesetzt. Da fehlte einfach die Hand des Meisters!"

Zur Eibe FlachdachIn der Straße Zur Eibe zeigt Rainer Metzendorf, wo der Großvater selbst seinen Meister gefunden hat. Walter Gropius, als Gründer des Bauhauses in Dessau höchst einflussreicher Architekt des 20. Jahrhunderts, zeigte sich bei einem Besuch der Gartenstadt im Jahre 1926 anlässlich einer Tagung des Deutschen Werkbundes in Essen nur bedingt beeindruckt. "Das ist ja alles prima, was du so baust", soll er Metzendorf gesagt haben. "Wenn du jetzt nur noch das Dach weglässt. . ."

Doch sollte das "Neue Bauen" mit Flachdach in der Straße Zur Eibe ein Experiment bleiben. "Zum Haus gehört ein Dach", meint Rainer Metzendorf und schwärmt an der Waldlehne, wie der Großvater geschickt damit umging: "Einfach zauberhaft - die Traufe führt das Auge die Reihenhauszeile entlang."

Für seine Zeit wusste Georg Metzendorf soziale und ästhetische Ansprüche in wegweisende Architektur zu überführen. In zukünftige Entwicklungen konnte sich der Architekt schwer eindenken. Dass im 21. Jahrhundert neben unzähligen Autos gelbe, grüne, braune und graue Abfalltonnen herumstehen würden, sprengte seine Vorstellungskraft. Nach und nach klemmten sich Garagen und Einfahrten zwischen die Häuser, vor denen oft zusätzlich ein klobiger Tonnenbehälter aus Waschbeton steht.

"Die Gesellschaft verändert sich", erläutert Rainer Metzendorf. Die Margarethenhöhe, die entwurzelten Industriearbeitern Anfang des 20. Jahrhunderts Geborgenheit und Schutz vermittelte, sei zwar immer noch eine "hochaktuelle" Fundgrube für städtebauliche und architektonische Lösungen. Doch habe man ebenso heute "das Auto, allein erziehende Mütter und Väter" zu berücksichtigen und laufe auf der Margarethenhöhe sicherlich Gefahr, einer allzu rückwärts gewandten Betrachtung zu verfallen. Es sei nicht im Sinne seines Großvaters, wenn die "Mustersiedlung" zu einem vielbewunderten, aber für Bewohner nutzungsfeindlichen Denkmal abgleiten würde, weil Bestimmungen den musealen Charakter unter einer Käseglocke strikt bewahren und jegliche sinnvolle Änderungen verbieten. Um diese Gefahr zu bannen, müsse die Margarethenhöhe "im Sinne einer ganzheitlichen Lösung behutsam und mit Anstand fortgeschrieben werden", sagt der Enkel heute zum Werk des Großvaters.


Neue Ruhr Zeitung (NRZ) / Tankred Stachelhaus, 6. 9. 2002


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Krupps Musterstadt lebt

Die Essener Margarethenhöhe blickt auf 100 Jahre Geschichte zurück – ein Rundgang durch die Gartenstadt

Steile StraßeUm die ganze Inschrift lesen zu können, muss man einmal um den Brunnen am Kleinen Markt herumgehen. „Grabt Schätze nicht mit Spaten, sucht sie in edlen Taten“, ließ die Stadt zu Ehren von Margarethe Krupp von Bohlen und Halbach in den Sandstein meißeln. Diese hatte vor 100 Jahren eine Stiftung für Wohnungsfürsorge gegründet und damit den Grundstein für die als „Dichtung in Stein und Grün“ gerühmte Essener Margarethenhöhe gelegt.

Die Straßen der Gartenstadt tragen Namen wie „Im stillen Winkel“, „Schön gelegen“ oder „Daheim“ – eine beschauliche, kleinräumige Welt, in der man dank einer virtuosen Blickführung durch die Traufen und Erker der Häuser nichts aus den Augen verliert. Plätze und sanft geschwungene Straßen strukturieren die 50 Hektar große, vom Wald umgebene und von Bäumen durchzogene Siedlung. Die von dem Architekten Georg Metzendorf geplante und von 1909 bis 1938 errichtete Gartenstadt zählt nicht nur zu den schönsten Europas. Auf der „Maggihöhe“, wie die Rest-Essener ihr städtebauliches Denkmal gerne nennen, wurde auch der erste soziale Wohnungsbau im Wilhelminischen Kaiserreich verwirklicht. Bis heute liegen die Mieten für die 1800 Wohnungen unter dem Spiegel. Seit jeher sind sie laut Stiftungswillen „mindermittelten Klassen“ vorbehalten und nicht nur - wie früher in den anderen Krupp-Siedlungen – den eigenen Arbeitskräften.

Rainer Metzendorf, Experte für das Werk seines Großvaters und selbst Architekt und Stadtplaner, betont beim Rundgang über die Margarethenhöhe, dass die Gartenstadt bereits mit dem ersten Spatenstich die Fachwelt aufgewühlt hatte. Sowohl der Deutsche Werkbund als auch die aus England herüber geschwappte Gartenstadtbewegung verstanden die Margarethenhöhe als wegweisendes Pilotprojekt. Bis heute sei die damals von allen Bauverordnungen befreite Musterstadt eine hoch aktuelle Fundgrube für architektonische und städtebauliche Lösungen.

ImpressionSelbst der Kaiser stattete der Siedlung einen Besuch ab. Dabei sollte Georg Metzendorf auf gleicher Höhe mit Wilhelm II. und Gustav Krupp von Bohlen und Halbach durch die Straßen schreiten. So sah es das Protokoll vor. Doch der Erbauer der Margarethenhöhe ließ sich immer wieder zurückfallen – weniger aus Respekt vor den Honoratioren, eher weil es ihm „schlicht zu blöd war“, wie der Enkel eine Anekdote aus der Familiengeschichte zum Besten gibt.

Die „Margarethe Krupp-Stiftung“ wählte 1908 den damals 33-jährigen Architekten nach einem reichsweiten Ausleseverfahren nicht trotz, sondern wegen seiner Jugend. Die Margarethenhöhe sollte für den nach sozialhumanen Lösungen im Städtebau strebenden Georg Metzendorf eine Lebensaufgabe werden. Qualifiziert hatte sich der Bensheimer Perfektionist durch sein auf der „Hessischen Landesausstellung für freie und angewandte Kunst“ vorgestelltes Kleinwohnhaus. Dieses wurde als schön, zweckmäßig und billig eingestuft. Es verfügte – ungewöhnlich für diese Zeit – über ein WC, eine Badewanne und eine Zentralheizung. Rainer Metzendorf gerät ins Schwärmen, als er die Vorzüge der kombinierten Koch und Heizungsanlage beschreibt, die im Sommer sogar für Kühlung sorgen sollte.

Impression Steile StraßeDer Enkel bewahrt eine Distanz zum Erbauer der Gartenstadt. Mal zeigt er bewundernd auf die ausgeklügelten Proportionen und Sichtachsen am Laubenweg, mal lobt er die anmutigen Arkadengalerien am Kleinen Markt, mal beschmunzelt er den Zuckerbäckerstil an der Steilen Straße, der der Margarethenhöhe zu Unrecht den Beinamen „Rothenburg ob der Ruhr“ einbrachte. Denn in der in 29 Bauabschnitten errichteten Margarethenhöhe gehört eine auf nur wenige Grundrisse der Häuser beruhende Stilvielfalt zum Prinzip. Der Robert-Schmohl-Platz von 1926 beispielsweise ist inspiriert vom Bauhaus. Dessen Mitbegründer Walter Gropius soll Metzendorf bei einer Ortsbesichtigung gesagt haben: „Ist ja alles schön, was du so baust. Wenn du nur noch das Dach weglässt…“ Was Metzendorf an der Straße Zur Eibe flugs in die Tat umsetzte – dort haben einige Dächer Flachdächer.

Mehr als nur das Dach fehlte vielen Häusern nach dem Zweiten Weltkrieg. Bomben hatten 44 Prozent der Siedlung zerstört. Als es um den Wiederaufbau ging, verschwanden die Pläne für eine „modernere“ Bebauung glücklicherweise schnell in der Schublade. Stattdessen wurde die Margarethenhöhe zwar nicht historisch genau, aber dem Charakter der Margarethenhöhe entsprechend wieder hergestellt. Rainer Metzendorf zeigt auf zweigeschossige Häuser in der Steilen Straße. „Die waren mal eingeschossig.“

Auch wenn die Margarethe Krupp-Stiftung für Wohnungsfürsorge heute zum Unmut der geschichtsbewussten Bewohner in jedem Einzelfall prüft, ob sie eine kaputte Tür detailgetreu nachtischlern lassen muss oder ob auch ein handelsübliches Exemplar reicht: Dass die Margarethenhöhe einen einzigen und dazu noch einen nicht profitorientierten Besitzer hat, ist für den Erhalt des Denkmals wichtiger als alle Verordnungen: Im Nordosten von Essen kippte kürzlich mit der Bonifacius-Siedlung eine Zechensiedlung aus dem 19. Jahrhundert von der Denkmalliste. Nach der Privatisierung hatte die Stadt schlichtweg kapituliert vor der Flut an Einzelinteressen der neuen Hausbesitzer.

Grüne MargarethenhöheAuch auf der Margarethenhöhe fühlen sich nicht wenige Mieter als Eigentümer. Viele Familien leben seit Generationen in „ihren“ Häusern. Auf der Warteliste der Stiftung stehen keine Nummern, sondern Jahre. Wer in ein nur an Familien vergebenes ganzes Haus ziehen will, sollte sich mindestens fünf Jahre lang in Geduld üben. Zu den kostbarsten Gütern auf der mit Autos zugeparkten Margarethenhöhe gehört eine Garage, erhältlich nach einer Wartezeit von zehn Jahren.

Da verwundert es nicht, dass sich manche Bewohner dagegen wehren, unter die museale Käseglocke gesteckt zu werden. Der Widerstand steckt im Detail. An der Waldlehne befestigte ein Mieter neben das einheitliche Hausnummernschild ein weiteres aus gebogenem Edelstahl und ausgestanzter Digitalschrift. Bei diesem Anblick umspielt ein mildes Lächeln das Gesicht von Rainer Metzendorf, was ihn zuvor am Hohen Weg eingefroren war. Dort hat die Sparkasse Essen ihr gefliestes Corporate Design auf die Fassade ihrer Filiale geklatscht. „Das tut weh.“ [Anmerkung des Autors: Die Fliesen sind jetzt weg, Juni 2011]

TorhausRainer Metzendorf plädiert für einen moderaten Denkmalschutz, der sich mit Respekt vor dem baulichen Erbe an den Bedürfnissen der heutigen Nutzer orientiert, sich aber auch ganz im Geiste seines Großvaters neuen Entwicklungen in der Architektursprache nicht verschließt. „Die Margarethenhöhe muss im Sinne einer ganzheitlichen Lösung behutsam fortgeschritten werden.“ Bei einer Frage gerät Metzendorfs Schritt und Sprachfluss ins Stocken. Ob er denn gerne in Großvaters Gartenstadt wohnen würde? Bevor er sich zu einem „Ja“ entschließt, spricht er von der Enge, den kleinen Wohnungen und den aufmerksamen Nachbarn. „Ist wie auf dem Dorf.“


Chronik:

1906: Margarethe Krupp-Stiftung für Wohnungsfürsorge gegründet.
1910: Der Stiftungsvorstand wählt Georg Metzendorf (1874-1934) zum leitenden Architekten.
1910: Die Zufahrtsbrücke und das erste Haus stehen.
1938: Fertigstellung der Margarethenhöhe mit 1660 Wohnungen für 5250 Einwohner
1945: Kriegsschäden haben 44 Prozent der Häuser unbewohnbar gemacht.
1954: Mit 9695 Einwohnern wird ein Höchststand erreicht.
1987: Die Margarethenhöhe wird unter Denkmalschutz gestellt.

WELT am SONNTAG / Tankred Stachelhaus. 24. 9. 2006


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